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N° 1354
20.04. - 01.05.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Die 1979 mit nur 54 Jahren In Zürich verstorbene ungarische Geigerin Johanna Martzy erlebte zu Beginn der 1950er Jahre eine kurze, steile Weltkarriere. Sie ist bis heute eine Ikone für Insider geblieben und gilt als letzte große Vertreterin der ungarischen Violinschule. Martzy stammte aus Siebenbürgen und wurde bereits mit acht Jahren Schülerin des legendären Jenö Hubay. 1944 floh sie unter abenteuerlichen Umständen aus dem von Nazis besetzten Budapest, und sie lebte dann von 1946 bis zu ihrem frühen Tod in der Schweiz. Hier gewann sie 1947 den Genfer Violinwettbewerb und spielte in den Folgejahren unter einigen großen Dirigenten. 1957 eroberte sie auch die USA. Nachdem sie zunächst einige LPs für das Gelblabel aufgenommen hatte, wechselte sie 1954 zur EMI und zu Walter Legge, der bis Ende 1956 acht LP-Programme mit ihr produzierte, bevor er sie schnell wieder fallen ließ, da sie sich seinen Avancen widersetzte.
Jetzt hat Profil den Großteil ihrer EMI-Aufnahmen plus zwei 1952 und 1953 für das Gelblabel produzierte Konzerte von Mozart (KV 218) unter Jochum und das legendäre Dvořák-Konzert unter Fricsay akustisch aufgefrischt und in eine 6-CD-Box gepackt. Das EMI-Konvolut umfasst die beiden mit Paul Kletzki eingespielten Konzerte von Brahms (1954) und Mendelssohn Bartholdy (1955), die bis heute zu den ausdrucksstärksten Interpretationen der gesamten Diskografie zählen, sowie Schuberts (fast) komplette Arbeiten für Violine und Klavier, und dann auch ihre legendären Abbey-Road-Aufnahmen der Bachschen Solosonaten und Partiten. Martzy verkörpert dabei exemplarisch die romantische, auf Intensität, Ausdruckskraft und strömendes Legato zielende Bach-Auffassung der Zeit, und eine Ästhetik, die den Hörer mit Schönheit und dramatischer Stringenz überwältigen will. Dabei entfacht sie auf ihrer körperreichen, fast bratschenartig sonoren Bergonzi-Violine von 1733 eine solche innere Glut und zieht solche Spannungsbögen, dass man sich ihren unendlich ausgesponnenen, plastischen Linien nicht entziehen kann. Jeder einzelne Ton ist suggestiv ausgeformt und Teil des fließenden Universums: Drama und Logik in einem. Und sie ändert mit den wechselnden Tonarten auch die jeweilige Grundfarbe ihres Tons, also von der abgedunkelten Sonorität der d-Moll-Partita zum strahlend hellen, leuchtenden E-Dur der dritten Partita. Man spürt in jedem Augenblick die objektive und subjektive Kraft dieser Musik: Es sind Monologe von erschütternder Schönheit.
So makellos sauber, körperreich-sonor und zugleich so innerlich belebt, so leidenschaftlich-drängend und lyrisch durchgeformt strahlen auch ihre vor Intensität glühenden Interpretationen der Konzerte von Mozart, Mendelssohn Bartholdy, Brahms und Dvořák – sie praktiziert da eine Art von musikalischer Perfektion, die alle Virtuosität hinter sich lässt, zum Mittel erklärt, um zum wahren Inneren, zur glühenden menschlichen Botschaft vorzudringen, und uns mit reiner, flutender Herzensenergie zu verzaubern und zu erschüttern. Kein Wunder, dass Johanna Martzy heute in Fachkreisen ikonischen Status genießt und ihre wenigen erhaltenen Original-LPs zu Höchstpreisen gehandelt werden.

Attila Csampai, 28.01.2023


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