Mit großer Fugenkunst kennt sich das Cuarteto Casals beeindruckend gut aus. Denn bereits im Rahmen seiner Einspielung aller Beethoven-Quartette hat der katalonische Vierer nicht zuletzt bei der „Großen Fuge“ B-Dur gezeigt, wie man solchen Würfen aus konstruktivistischer Himmelsstürmerei und poetischer Erdverbundenheit das pure Leben einhaucht. Jetzt also Bachs „Kunst der Fuge“; diese mythen- und anekdotenumrankte Sammlung aus 14 Fugen sowie vier Kanons. Mit seiner Einspielung widerlegt das Cuarteto Casals fulminant die immer noch kursierende Fehleinschätzung, dass sich der wahre Kern dieses sich kontrapunktisch immer weiter ins Komplexe steigernden Konvoluts ja eigentlich nur übers reine Notenstudium erfassen ließe. Doch gerade diese sich gegenseitig befruchtende und bedingende Verbindung aus Sinnlichkeit und Intellektualität ist es, die einem erst den wahren Reichtum vermittelt.
Das Cuarteto Casals macht in seiner Streichquartett-Version das Ganze zu einem Hörabenteuer, bei dem nicht nur die Musik atmet, sich mal von ihrer erhabenen und tiefen und dann wieder von ihrer visionär wagemutigen Seite zeigt. Zugleich wird man Ohrenzeuge vom Wechselspiel zwischen Tradition und Moderne, bei dem die karge Strenge der englischen Gamben-Kunst und -Kontrapunktik genauso fesselt wie Beethovenscher Furor. Bevor dann schließlich alles in jenem bittersüßen Bach-Choral „Vor deinen Thron tret’ ich hiermit“ mündet, mit dem einst der Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel dieses unvollendete Werk eigenständig krönte, lässt das Cuarteto Casals die offizielle „Kunst der Fuge“ geradezu versöhnlich enden. Denn statt nach 239 Takten die Quadrupelfuge „Fuga a 3 soggetti“ ganz klassisch abrupt abrechen zu lassen, hat man sie einfach mit einem milden D-Dur-Akkord komplettiert und abgerundet. Eine Bach-Aufnahme, die ab sofort auf keiner einsamen Insel fehlen darf.

Guido Fischer, 29.07.2023

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