Mit der vorliegenden Einspielung stellt sich Benjamin Goodson dem Aufnahme-Publikum als neuer Leiter des Niederländischen Rundfunkchors vor. Dass er in seinem persönlichen Vorwort bekundet, das Programm enthalte sowohl Musik, die ihn sein Leben lang begleitet habe, als auch Werke, die völlig neu für ihn waren, verwundert ein wenig: Es handelt sich eigentlich durchweg um Mainstream-Repertoire. Rheinbergers doppelchörige Messe in Es-Dur, Mendelssohn Bartholdys Motetten op. 78 und seine „Sechs Sprüche“ op. 79, dazu „Jauchzet dem Herrn, alle Welt“ sowie Rheinbergers „Abendlied“ – alles in allem geradezu ein Schlager-Programm.
Beim Hineinhören gibt es dennoch vereinzelte Überraschungen: Mendelssohn Bartholdys berühmte Psalmvertonung „Richte mich, Gott“ etwa erklingt in einer selten gebrauchten revidierten Fassung, die markante Unterschiede zur vertrauten Version aufweist. Hier horcht gerade der Kenner des Repertoires interessiert auf. Wie auch immer: Goodson hat den hier über 70 Personen zählenden Spitzenchor mit großer Geschichte gut im Griff. Wie die Besetzungsstärke schon vermuten lässt, wird das 19. Jahrhundert hier nicht wie heute oft praktiziert durch die Alte-Musik-Brille präsentiert, wozu die satztechnische Struktur der am A-Cappella-Ideal der Renaissance orientierten Musik ja durchaus verlockt. Nein, Goodson bevorzugt einen romantischen Chor-Sound, der zwar zumindest partiell textaffin ist, aber dennoch vom intensiven Legato lebt und die rein klanglichen Reize dieser vokalen Fülle nicht verleugnet. Dass sich das Vibrato dennoch sehr in Grenzen hält, dankt die Hörerschaft – in diesem Punkt kann man heute hinter die Errungenschaften der historisierenden Aufführungspraxis kaum mehr zurücktreten. Die Romantik nicht außen vor lassen, gleichzeitig aber die heutigen Hörgewohnheiten nicht vergessen: So kann man diese Musik wahrhaft zum Erlebnis machen. Ein guter Einstand des neuen Chorleiters.

Michael Wersin, 21.10.2023

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