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N° 1355
27.04. - 05.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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Verschiedene

Orpheus’ Echo

PER-SONAT, Sabine Lutzenberger

Christophorus/Note 1 CHR 77469
(72 Min., 5/2022)

Wer den Blick über das gängige klassische Konzertrepertoire hinaus weiter in die fernere Vergangenheit lenkt, der wundert sich, wie schmal derjenige Ausschnitt aus der Musikgeschichte ist, der uns normalerweise beschäftigt: Selbst wenn dieser Zeitraum in der Renaissance anfängt und das 20. Jahrhundert mit umfasst, deckt er nur wenige hundert von allein 2000 durch die christliche Kultur geprägten Jahren ab. Freilich, die Verschriftlichung von Musik beginnt erst im 10. Jahrhundert, davor wurde ausschließlich mündlich tradiert. Aber selbstverständlich spiegeln die zahlreichen verfügbaren Quellen dennoch auch das Repertoire und die Musizierpraxis noch früherer Zeiten wider.
Lange hat man in der schon seit Jahrzehnten aktiven Mittelalter-Szene die alte Musik auf Basis der verfügbaren Quellen nach eigenem Gusto aufgepeppt: Gesänge der damaligen Zeit sind ausschließlich einstimmig und unbegleitet überliefert, also wurde mittelalterlich klingende Mehrstimmigkeit hinzuerfunden, und Perkussionsinstrumente gaben dem Ganzen zusätzlich rhythmische Kontur. Mittlerweile jedoch ist die musikwissenschaftliche Forschung auch mit der Erkundung zeitgenössischer musiktheoretischer Quellen so weit vorangekommen, dass man besser daran tut, seine Improvisationslust auf eine sicherere Faktenbasis zu stellen.
Dass dies für das vorliegende Album mit großer Gewissenhaftigkeit geschehen ist – so wie es für die Arbeit von Sabine Lutzenbergers Ensemble PER-SONAT überhaupt typisch ist –, wird bei der Lektüre von Lutzenbergers eigenem Beihefttext und demjenigen von Marc Lewon, der ebenfalls als Mitspieler und Arrangeur am Programm beteiligt ist, schnell klar: Mehrstimmigkeit etwa richtet sich nach denjenigen Regeln, die in der Handschrift „Musica enchiriadis“ niedergelegt sind; Quartorgana schweifen dementsprechend nicht irgendwie vor sich hin, sondern treffen sich immer wieder in genau festgelegter Weise im Unisono. Seiteninstrumente (Mittelalterharfe, Leier, karolingische Cythara) gelangen nicht nach Gusto, sondern auf quellenkundlicher Basis zur Anwendung, zudem geleitet von langjähriger Erfahrung mit dem Spielen des authentischen Instrumentariums.
Auf diese Weise gelangt musikalisches Repertoire zum Erklingen, das einen weiten Bogen spannt von altehrwürdiger Gregorianik hin zu weltlichen Gesängen, von vokaler zu mutmaßlich instrumentaler Musik, von einstimmiger vokaler über instrumental begleitete bis hin zu mehrstimmiger Klanglichkeit. Lockere programmatische Verbindung schafft der antike Orpheus-Mythos – eine geglückte Wahl, denn Orpheus ist seit jeher eines der großen abendländischen Sinnbilder für die Macht der Musik, sowohl im Hinblick auf sein Singen wie auch auf die instrumentale Begleitung des eigenen Gesangs. Orpheus-haft erstrahlen auch die Stimmen von Sabine Lutzenberger, Sarah Newman, Hanna Marti und Marc Lewon – angenehm schlicht im Verzicht auf Vibrato, gerade darum aber bezaubernd in ihrer Klarheit, die eine konsequente Nähe zum Text ermöglicht.

Michael Wersin, 28.10.2023


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