Der Kult um den 2019 verstorbenen Chef des BR-Symphonieorchesters, Mariss Jansons, scheint in München mittlerweile denjenigen um Carlos Kleiber noch zu übertreffen. Aufnahmen der Dritten von Mahler unter Leitung von Jansons gibt es daher nicht nur bereits aus Oslo, Amsterdam und München selbst. Diese Live-Aufnahme von 2010 (in diesem Jahr entstand auch der Concertgebouw-Mitschnitt) war früher schon erhältlich, sowohl innerhalb der Gesamtausgabe der 9 Mahler-Sinfonien wie auch separat.
Natürlich liegen die Qualitäten Jansons’ als Mahler-Dirigent offen zutage. Der mehr als halbstündige 1. Satz klang nie süffiger, umstandsloser, organischer und wie aus einem Guss. Das ist eine Qualität, die nicht hoch genug zu veranschlagen ist, da gerade dieser Kopf-Satz selbst bei Mahler-Spezialisten oft zu blockhaft, klobig und schwer gelang. Das Alt-Solo „O Mensch! Gib acht!“ klingt vonseiten der großen Nathalie Stutzmann wie ein Unken-Ruf aus dem Hades – oder täte es, verströmte die Sängerin nicht zugleich ein Maß an Menschenliebe und Freundlichkeit, das man gleichfalls hier kaum so kennt.
Der Schluss („Es sungen drei Engel“) gerät hymnisch versöhnlich, so wie es bei Jansons kaum anders erwartet werden kann. BR-Chor und -Orchester haben fulminante Auftritte. Das tragische Gewicht, das man dem Werk sonst zuerkennt, bleibt freilich etwas auf der Strecke. Auf die Frage, wie er seine – tatsächlich nur mit Carlos Kleiber vergleichbaren – ebenso schwungvollen wie irrwitzig animierten Deutungen hinbekam, antwortete Jansons einmal: Man müsse die Werke halt haarklein analysieren. Motivation reiche nicht. Die innere Logik müsse entschlüsselt werden. In dieser nüchternen Fähigkeit war der Publikumsliebling und herzbewegte Charismatiker Jansons hörbar ein Weltmeister.

Kai Luehrs-Kaiser, 06.04.2024

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