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N° 1354
20.04. - 01.05.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Hier das banale Leben, dort die hehre Kunst - in Strauss' "Ariadne" gibt's dieses starre Gegenüber nicht bzw. nur "gespielt" in kunstimmanenter Gestalt: hier die ordinäre Unterhaltung in der Opera buffa samt mannstoller Zerbinetta, dort das "ernste, bedeutende" Werk mit der einsamsten und verlassensten aller Frauen, der Ariadne auf Naxos. Wie Hofmannsthal/Strauss beides zusammenbringen - gleichzeitig! - und in eine Parabel über existentielle Verwandlung überführen, das halten die einen für eines der gelungensten Bühnenwerke überhaupt, die anderen für eine verquere, allzu konstruierte, weil selbstreflexive Studie über Kunst und Leben im allgemeinen und die Alltagsprobleme eines Komponisten im besonderen.
Egal was es ist: Damit's auf einer inszenierungslosen Platteneinspielung funktioniert, müssen die Darsteller allein stimmlich ihre konträren Charaktere (und das, wofür sie stehen) möglichst plastisch vermitteln können. Und da hat der kürzlich verstorbene Giuseppe Sinopoli in seiner letzten Einspielung durchweg einen Glücksgriff getan. Allen voran brilliert Anne Sofie von Otter. Vielleicht liegt es an ihrer Rolle des hochtrabenden "Komponisten", der mit allerlei "irdenen" Widrigkeiten konfrontiert wird und also einen lebensnahen Konflikt bestehen muss - Frau Otter ist ein Ausbund an Lebendigkeit und Wandlungsvermögen, stimmlich wie darstellerisch.
Die in Todessehnsucht verharrende, unverhofft in neuer Liebe auflebende Titelheldin hat in Deborah Voigt eine im hochdramatischen Wagner- und Strauss-Fach erprobte Darstellerin, die schon allein ihres unglaublichen Stimmumfangs wegen in ihren Bann schlägt (trotz amerikanischen Idioms). Natalie Dessay wiederum verleiht ihrer Zerbinetta genau die kokett-leichtfüssigen Sopranspitzen, die die Ariadne-Gegenspielerin glaubwürdig machen. Der Manns-Riege stehen Ben Heppner und Albert Dohmen souverän voran: jener mit einem Strahle-Tenor (des "Bacchus"), den man derzeit nicht eben dutzendweise findet, und dieser mit einem herrlich kräftig-sonoren Bariton.
Was die "Aura" dieser letzten Opern-Einspielung Sinopolis angeht, so wird man sich der postumen Wirkung von Ariadnes Zeilen "Bald aber naht ein Bote, Hermes heißen sie ihn" kaum entziehen können. In jedem Fall erscheint die Aufnahme als Memento, das im Nachhinein noch einmal die ganze Kunst Sinopolis en detail demonstriert: die Synthese-Kunst des kontrollierten Überschwangs, eine Kunst, die die Partitur seziererisch durchleuchtete und zu schwelgen wusste, die sinnierend-intellektuell innehielt, gleichwohl den Hörer ekstatisch mitreissen und damit zeigen konnte, wozu Kunst - mitten im Leben - fähig ist.

Christoph Braun, 01.09.2007


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