Brillant Classics/Foreign Media MMK93567
(4/2007) 2 CDs
Es gibt so etwas wie das Verschwinden des Interpreten hinter dem Werk, im braven Feuilleton nennt man das dann "er dient dem Werk" und spricht von "Werktreue". Das ist, wenn man eitle "Gestalter" wie Mischa Maisky oder Nigel Kennedy dagegen hält, durchaus etwas Lobenswertes. Es kann aber nicht so weit gehen wie hier bei Jaap ter Linden, der als Solist in Antonio Vivaldis neun Cellosonaten überhaupt nicht mehr vorkommt – über weite Strecken nämlich klingt es so, als sei das Cembalo vorrangig, und es spiele regelwidrig mit gleich zweien statt nur einem Continuo-Cello. Man fragt sich unwillkürlich, wer sich das anhören möchte außer Scholaren. Denn selbst für den ausübenden Cellisten bringt die Doppel-CD nicht mehr als ein Muster allzu großer Bescheidenheit. Das mag, da die Kunst des Cellospiels zur Vivaldizeit noch nicht sehr fortgeschritten war (starre Bogenführung, enge Körperhaltung des linken Arms), der "period style" sein. Was aber bringt es uns heute außer einem "Aha, so klang das damals" (wenn’s denn stimmt)?
Ich erinnere mich, wie in meiner Jugend diese Stücke bei schulischen "Hausmusikabenden" immer gute Figur machten. Man spielte sie noch ohne Continuo, nur mit Cello und Klavier, und sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Ihre Länge blieb proper, ihr melodisches Potenzial, ihre rhythmische Finesse hoben sich wohltuend ab zumindest von den Erzeugnissen anderer Barockfürsten (Bach einmal ausgenommen). Das war alles andere als "stilecht", aber es war gute Musik. Dagegen hat diese Gesamtaufnahme ter Lindens etwas Über-Skrupulöses, bis in die Blutarmut Reichendes: Als wäre eine heftigere Aufwallung, ein exzentrischerer Schlenker oder überhaupt "Persönlichkeit" bereits ein Sakrileg gegen die reine Lehre. Als die 26-jährige Sol Gabetta vor Kurzem ihr "Progetto Vivaldi" vorlegte, war das blutvolle Barockkunst; sie machte Zugeständnisse an den "period style", aber das Resultat war immer noch zu 100 Prozent ihres: Es trug ihr Gesicht. Bei Jaap ter Linden hört man nur, was sich auf seinen Namen reimt: Verschwinden.
Thomas Rübenacker, 14.03.2008
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Eva Jagun stammt aus einer Kölner Musikerfamilie und lernte zunächst Geige, Flöte, Gitarre und Klavier. Ihre ersten Erfahrungen sammelte sie in diversen Chören und Bands, später studierte sie in Hamburg Musik, seit einigen Jahren lebt sie in Berlin. Dort arbeitet sie als Sängerin wie auch als Geigerin im Studio und auf der Bühne mit einer Vielzahl von Künstlern zusammen, unter anderen mit Nina Hagen oder Dieter Hallervorden. Wichtige Impulse erhielt sie vom kanadischen Jazzbassisten […] mehr