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N° 1298
25. - 31.03.2023

nächste Aktualisierung
am 01.04.2023



"Schiller und die Musik" – das klingt nach Schulaufsatz und drögem, allzu spätem "Klassiker"- Gedöns. Doch statt bildungsbürgerlicher Langeweile bietet Marieke Schroeder im Verbund mit ihrem Autor Georg-Albrecht Eckle einen stimmungsvollen filmischen Herbstspaziergang durchs schmucke Weimar – hin zu Schillers Wohn- und Sterbehaus, wo der Genius ab 1802 die letzten drei Jahre seines kurzen Lebens verbrachte, abgeschieden im noblen Bürgerviertel. Schroeders Begleiter ist der 75-jährige Peter Gülke, Sohn der Klassikerstadt und als solcher nicht nur geachteter Dirigent und Musikwissenschaftler, sondern auch geistes- und kulturgeschichtlicher Kenner von höchsten Gnaden. Wie ambivalent Schiller zur Musik stand: einerseits misstrauisch gegen den geistvergessenen "Schmelz" der Töne, die er nur als Transportmittel der Poesie gelten ließ, andererseits ehrfurchtsvoll gegenüber einer Kunst, die ausdrücken kann, was die Sprache nicht vermag – wie Gülke diese Materie im Gespräch mit Schroeder und Expertenkollegen ausbreitet, das nimmt ihr jeden abgehobenen Bildungsdünkel. Zumal nichts beschönigt wird, weder Schillers Unmusikalität noch seine krassen Fehleinschätzungen der berühmten zeitgenössischen Tonsetzer als oberflächliche Sinnenkitzler. Dass Schiller selbst nach Shakespeare zum meist vertonten Dramatiker avancierte, liegt an seinem – so Thomas Mann – Sinn fürs höhere Indianerspiel, das heißt die geradezu schematische, ergo operngeeignete Anordnung der Dramen. Und: Schillers Poesie schreit, wie die rezitierten Beispiele zeigen, förmlich nach Musik. Auf dem Liedsektor bewirkte sie noch zu Lebzeiten einen wahren Hype. Vor allem die Freuden-Ode war schon vor Beethoven Lieblingsobjekt von gut 40 Tonsetzern. Ihr Schöpfer selbst fand das ursprünglich bacchantische Trinklied ziemlich "mies". Mit Beethoven mutierte es bekannter- und seltsamerweise zur pathosgeschwängerten Menschheitshymne, die zur ideologischen Instrumentalisierung geradezu einlud. Schroeders Film bedient die Facetten des Themas auf kritische und zurückhaltende Weise. Wobei das Intime im Vordergrund steht, wie an der Hausmusik für Gesang/Gitarre und Oboe/Klavier zu erleben ist. Das nebelverhangene Weimar wiederum unterstreicht die tiefe Melancholie und späte Resignation unseres körperlich so zerrütteten Helden: "Der Himmel über mir will die Erde nie berühren": Auch sein Elysium, die Musik, konnte da nicht helfen.

Christoph Braun, 24.04.2010



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