Startseite · Interview · Gefragt
(c) Marco Borggreve
Die meisten waren skeptisch, als sie erstmals von diesem Mammut-Aufnahmeprojekt hörten. Alle geistlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs aufzunehmen, das war an sich schon ein Wagnis, das nur wenigen glückte. Nikolaus Harnoncourt und Gustav Leonhardt teilten sich die Arbeit für den ersten Zyklus, Helmuth Rilling schaffte es in einem Anlauf, war bei Abschluss aber künstlerisch schon in die Jahre gekommen. Koopman und Gardiner – beide vollendeten ihren Zyklus 2014 – begannen ihre musikalische „Everest-Besteigung“ bei großen Labels, die in den Krisenjahren auf halber Strecke einen Rückzieher machten. Nur mit Gründung von Eigenlabels waren die Zyklen zu retten.
So viel zu den Vorreitern der Aufführungspraxis in Europa – aber nun ein japanisches Ensemble, das sich gerade einmal 5 Jahre vor Start des Unternehmens zusammengefunden hatte? Doch es genügten wenige Takte, um selbst hartgesottene Skeptiker zu überzeugen: Masaaki Suzuki, Organist seit Kindheitstagen und selbst Meisterschüler Koopmans, ist mit der europäischen Szene bestens vertraut. „Sein Bach“ hatte hier viel gelernt, und konnte die kleinen Eigenheiten und Eitelkeiten der Vorläufer vermeiden. Als Anlass für den Start nahm sich das Bach Collegium Japan den fünfzigjährigen Jahrestag der Kapitulation des Kaiserreiches, in der Überzeugung, dass Bachs Kirchenkantaten in ihrer Vielgestalt ein überkulturelles, zutiefst humanes Kunstwerk sind. Dieser Botschaft galt ihr Projekt – und das schwedische Label BIS schulterte die Produktion.
Klanglich-interpretatorisch lassen die Aufnahmen keine Wünsche offen, soweit man das in solcher Breite betrachtet pauschalieren kann. Suzukis bald schon sehnsüchtig erwarteten Folgen hatten weder regelmäßig solistische Ausfälle wie bei Koopman (und seltener auch Gardiner), noch litten sie unter veralteten Überzeugungen wie Rillings Interpretationen. Auch kannte sein Ensemble kaum Durchlauf, sondern folgte dem leise-bestimmten Dirigenten über ganze 18 Jahre durch einen Kosmos pietistischer Frömmigkeit. Das gilt auch für die Vokalsolisten, unter denen sich so erlauchte Spezialisten finden wie Hana Blažiková, Carolyn Sampson, Robin Blaze, Gerd Türk, oder in fünf Folgen auch der vollmundige wie androgyn schillernde Altus Yoshikazu Mera. Im Continuo ließ Suzuki sowohl Orgel als auch Cembalo zu. Ein Höhepunkt ist jedoch der Chor, mit seiner glasklar prononcierten Aussprache, intonatorischen Präzision und Flexibilität. Wenn man sich denn reiben möchte, ginge das noch am besten an dem überpersönlichen, zuweilen bodenfern schwebenden Klangbild Suzukis. Man muss seiner Ästhetik aber einräumen, dass sie die Leidenschaft des Individuellen ja gerade programmatisch zu überwinden versucht. Kühl ist sein Klangbild nie.
Der Zyklus – für dessen Veröffentlichung als Box nun die ersten 27 Folgen remastered wurden, so dass nun tatsächlich alle 55 Folgen als Hybrid-SACDs das Schwelgen in räumlichem Klang ermöglichen – setzte keinen Schlusspunkt; weltliche Kantaten, Lutherische Messen und Konzerte hat das Bach Collegium inzwischen ebenfalls vorgelegt. Vielleicht wird eine Einspielung des Gesamtwerks daraus? Der Abschluss der Kirchenkantaten aber wurde mit dieser Box schon mal gebührend gefeiert.
Carsten Hinrichs, 02.04.2016, RONDO Ausgabe 2 / 2016
Alle Neune
Das Orchester eröffnet mit seinem ersten Beethoven-Zyklus das Rennen zum 250. Geburtstag 2020 – […]
zum Artikel
Lions und Wolffs Revier
Vor 80 Jahren wurde Blue Note Records gegründet. Ein Treffen mit Don Was, dem Präsidenten des […]
zum Artikel
Ein Schuss Jazz, eine Prise Film, ein Löffel Leichtigkeit: Bunte Klassik
Die Harfe gehört zu den Instrumenten, bei denen stets deutlich eine Schicht des Alten, des […]
zum Artikel
Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Der Komponist Johann Joachim Quantz (1697-1773) war auch ein exzellenter Flötist und nahm als Flötenlehrer Friedrichs des Großen eine privilegierte Stellung im musikalischen Leben am preußischen Hof ein. Viele seiner Werke ebenso wie viele der von ihm gebauten Flöten entstanden ab 1741 exklusiv für den Monarchen. Der belgische Flötist Frank Theuns spielt hier auf einer originalgetreuen Kopie einer Quantz-Flöte einige dieser „Privat-Konzerte“. Theuns und sein sechsköpfigen […] mehr