Hector Berlioz: Porträt von Emile Signol, Villa Medici/Rom (c) bpk/Scala
Bereits zu seinen Lebzeiten waren Hector Berlioz und seine Landsleute nicht die allerbesten Freunde. Wie gespannt das Verhältnis aber selbst über seinen Tod hinaus bleiben sollte, zeigte sich noch im „Bicentenaire“-Jahr 2003. Anlässlich des 200. Geburtstages sollte Berlioz nämlich vom zugigen Montmartre- Friedhof endlich in die Pariser Ruhmeshalle, in das Panthéon überführt werden. Wo er dann als einziger Komponist, auf Augenhöhe und Seit an Seit mit Voltaire und Rousseau, hätte rehabilitiert werden können. Doch dieser überfällige Festakt wurde vom Pariser Élysée-Palast kurzerhand wieder abgesagt.
Jetzt soll es aber endlich geschehen. Anlässlich des 150. Todestages fordern französische Musikerpersönlichkeiten, Berlioz’ Überresten diese Ehre zu Teil werden zu lassen. Unter den Befürwortern findet sich auch Kölns französischer GMD François-Xavier Roth, für den Berlioz der französische Beethoven ist und dem er für die Musik einen ähnlichen Rang zuspricht, wie ihn Victor Hugo für die französische Literatur hat.
Ein unüberhörbares Plädoyer für diesen Zukunftsmusiker und modernen Orchesterklang- Revolutionär hat Roth jetzt auch selbst vorgelegt – mit der Einspielung des verkappten Bratschenkonzerts „Harold en Italie“ sowie des Liederzyklus „Les nuits d’été“. Zusammen mit seinem Originalklang-Ensemble Les Siècles, Tabea Zimmermann (Bratsche) und Bariton Stéphane Degout garantiert Roth eine wunderbare Balance aus Partiturtreue, Poesie und einer magisch abgedunkelten, von Sehnsüchten umspielten Ausdruckstiefe, bei der sich die Solisten mit den instrumentalen Gesängen des Orchesters ideal ergänzen.
Neben dieser großartigen Einspielung zweier Berlioz- Klassiker bietet Roth aber auch noch eine Weltersteinspielung, die 2018 beim französischen Berlioz-Festival in La Côte-Saint-André aufgenommen wurde. Es ist die von Yves Chauris für Tenor, Chöre und Orchester eingerichtete Fassung der Kantate „Le temple universal“, mit der Berlioz 1861 ein Friedensabkommen zwischen Frankreich und England feiern und dafür die beiden auf Chöre auf Französisch und Englisch singen lassen wollte. Diese auch als Beschwörung eines vereinten Europas gedachte Rarität findet sich in der Warner-Box „The Complete Works“, die sich als eine unermessliche Schatztruhe gerade auch bei kaum bekannten Stücken von Berlioz entpuppt. Ebenfalls erstmals sind da zwei Orgel-Fugen aus den 1820er Jahren zu hören. Und während die großen Vokal- und Orchesterwerke in zum Teil maßstabsetzenden, wie im Fall von André Previn mit dem „Requiem“ auch einzeln veröffentlichten Einspielungen vereint sind, feiert die allererste Aufnahme der „Symphonie fantastique“ aus dem Jahr 1924 mit dem Orchestre des Concerts Pasdeloup unter der Leitung von Rhené-Baton tatsächlich CD-Premiere.
Da Berlioz’ Herz nahezu ausschließlich für den großen Orchesterapparat und die menschliche Singstimme schlug, wurden die Piècen des begeisterten Hobby-Gitarristen bisher leider noch nicht entdeckt. Und auch das Klavier taucht bei ihm lediglich als Begleitinstrument auf. Warum er nichts Solistisches für das für ihn wohl eher blasse Tasteninstrument komponiert hat, wird nun bei einer durchaus interessanten Neueinspielung der „Symphonie fantastique“ deutlich. Jean-François Heisser hat sie für zwei Klaviere arrangiert und mit Marie-Joséphe Jude an einem außergewöhnlichen Instrument aufgenommen. Es ist ein sogenannter „Vis-à-vis“-Flügel von Pleyel, bei dem sich die Interpreten an einem Instrument gegenübersitzen. Doch auch diese Tasten-Kuriosität von 1928 kann es nicht einmal entfernt mit der Klangpalette eines Orchesters aufnehmen, wie sie etwa Altmeister Charles Münch 1967 mit dem Orchestre de Paris und unter zündendem Temperament aufgefahren hat.
Bis auf die Wiederveröffentlichung von Berlioz’ „La damnation de Faust“ in der sehr sinnlichen Aufnahme von 1960 mit dem von Igor Markevich geleiteten Orchestre Lamoureux unterstreichen so manche Veröffentlichungen die Gewissheit, dass gerade englische Musiker oftmals die beeindruckenderen „Franzosen“ (will sagen: Spezialisten für Berlioz) sind. Auf dem Originalklang-Terrain lieferte John Eliot Gardiner Steilvorlagen, die heute auch von François- Xavier Roth beherzigt werden. Und mit Andrew Davis (mit dem etwas anderen Weihnachtsoratorium „L’enfance du Christ“), Edward Gardner (mit dem „Requiem“, das Berlioz als sein bedeutendstes Werk ansah) und Simon Rattle (mit „La damnation de Faust“) haben gleich drei Engländer alles andere als durchschnittliche Berlioz- Statements vorgelegt. Sie sind vielmehr den Vorstellungen des Komponisten ziemlich nahe gekommen, der sich von den Dirigenten seiner Werke „äußerste Präzision, einen unwiderstehlichen Schwung, ein gebändigtes Feuer und träumerische Empfindsamkeit“ gewünscht hat.
Dass Berlioz darüber hinaus von jeher in Deutschland geschätzt wurde, weiß man seit Franz Liszts Weimarer Berlioz-Festivitäten. Damals kursierte sogar ein Stammbaum, auf dem Berlioz als Ur-Ur-Urenkel von Bach auftauchte! Erstaunlicherweise sollte er später jedoch noch nicht einmal von seinem großen Bewunderer Richard Strauss mit einer Hommage gewürdigt werden. Das übernahm dafür Walter Braunfels mit seinen 1920 von Bruno Walter uraufgeführten „Fantastischen Erscheinungen über ein Thema von Hector Berlioz“, dem Motive aus Berlioz’ „Carnival“-Ouvertüre zugrunde liegen. Die Weltersteinspielung von Dirigent Gregor Bühl zählt schon jetzt zu den gelungensten Überraschungen im Berlioz-Jahr 2019, das hoffentlich in Frankreich auch kulturpolitisch noch so manches bieten wird.
hm
LSO/Note 1
Capriccio/Naxos
Chandos/Note 1
Chandos/Note 1
SFSO/Warner
hm
Warner
Sony
Decca/Universal
DG/Universal
DG/Universal
Warner
Warner
Erato/Warner
Euroarts/Warner
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