Doktor Stradivari fiel sofort der riesige Fernseher auf, der das Wohnzimmer beherrschte. Auf dem Bildschirm war eine im Singen erstarrte Sopranistin zu sehen. Hinter ihr saß ein Streicherensemble. Die Kante einer Truhenorgel ragte ins Bild. „Das ist die Wiedergabe aus einer Mediathek, die angehalten wurde“, erklärte Hauptkommissar Reuter. Er deutete auf einen Blutfleck auf dem Teppich. „Und hier hat der Tote gelegen. Robert Ganter. Ein bekannter Dirigent.“ „Was ist das für eine Aufnahme auf dem Fernseher?“, fragte Stradivari. Reuter nahm die Fernbedienung vom Tisch, die offenbar schon von der Spurensicherung untersucht worden war, und drückte auf „Play“. Die Sängerin ließ auf die Wörter „dum emisit spiritum“ ein paar Töne verhauchen. Die Streicher tupften eine todtraurige Schlusswendung in f-Moll. „Das ist aus dem ‚Stabat Mater‘ von Pergolesi“, sagte der Doktor. Reuter nickte und stoppte die Wiedergabe. „Alles passt zusammen. Der Fall ist gelöst.“ Der Doktor lächelte. „Könnten Sie mir bitte erklären, welchen Fall ich gelöst habe, ohne es zu wissen?“ Der Beamte deutete auf den Monitor. „Die Sängerin ist Irina Lamontagna, eine aufstrebende Sopranistin. Sie ist mit dem Geigenvirtuosen Hanno Waldmann verlobt, dem ebenfalls eine große Karriere bevorsteht.“ „Der Sohn des Musikwissenschaftlers Professor Ernst Waldmann?“, fragte Stradivari. Reuter nickte. Auch der Name Lamontagna sagte dem Doktor etwas. „Sie ist vor kurzem umgekommen, oder nicht? Bei einem Verkehrsunfall.“ „Den Ganter versursacht hat. Man nimmt an, dass er mit der jungen Frau auf dem Weg in ein Hotel war. Der Maestro hat sich gelegentlich mit seinen Sängerinnen auch privat getroffen. Nachdem er sie in gewisser Weise unter Druck gesetzt hat.“ „Und wer hat nun den Mord begangen?“ „Professor Waldmann. Er hat es zugegeben. Wir mussten nur das Geständnis überprüfen. Er sagt, er habe Ganter, der keinerlei Reue zeigte, damit konfrontieren wollen, welches Talent die Welt mit Irina Lamontagna verloren hat. Er sagt, er habe ihn gezwungen, sich die hochemotionale Aufnahme anzusehen. Er wollte ihm das ganze Werk vorspielen, aber er sagt, er habe es nach dem ersten Duett nicht bis zum Schluss der ersten Sopranarie geschafft. Die Wut habe ihn übermannt. Und so habe er der Aufnahme gestoppt und ihn kurz vor deren traurigem Schluss mit einer Beethovenbüste niedergeschlagen.“ „Wo ist die Büste?“, wollte Stradivari wissen. „Sie lag auf dem Boden. Die Kollegen haben sie mitgenommen. Sie ist nicht schwer. Waldmann hat damit zuschlagen können, auch mit seinen 78 Jahren.“ „Haben Sie weitere Spuren?“ „Leider nicht.“ „Ich glaube nicht, dass es Waldmann war“, erklärte Stradivari. „Eher sein Sohn. Der Professor hat vielleicht alles auf sich genommen, um ihm die Karriere nicht zu verbauen.“ Was hat Doktor Stradivari auf diesen Gedanken gebracht?
Wenn Sie die Lösung wissen, schreiben Sie sie an stradivari@rondomagazin.de oder postalisch an RONDO, Kurfürstendamm 211, 10719 Berlin – bitte auch Ihre Kontaktdaten nicht vergessen! Unter allen Zuschriften verlost RONDO in Kooperation mit dem Label Alpha fünf Exemplare der neuen Einspielung des Stabat Mater von Giovanni Battista Pergolesi, mit Sandrine Piau, Christopher Lowery und Les Talens Lyrique unter Christophe Rousset. Einsendeschluss ist der 30. April 2020. Viel Glück!
Der alte Mann, der sich mit Dr. Stradivari über seine Forschungsergebnisse zur Geistlichen Musik von Franz Liszt unterhält, berichtet von einem sensationellen Brieffund. Was ließe sich aus den aufgezeichneten Gesprächen zwischen Liszt und Wagner nicht alles über die Uraufführung des „Lohengrin“ 1850 lernen? Doch leider hat die Idee einen Pferdefuß, denn Richard Wagner war als Revolutionär von 1848 gesucht und ins Exil geflohen; 1850 war er in der Schweiz und nicht bei Liszt in Weimar. Das hätte der echte Prof. Siebenzahn sicher gewusst.
Oliver Buslau, 28.03.2020, RONDO Ausgabe 2 / 2020
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