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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

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am 04.05.2024



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Wagners „Fliegender Holländer“ an der Hamburgischen Staatsoper (hier: Mayer) (c) Hans Jörg Michel

Fanfare

Proben, Pleiten und Premieren: Höhepunkte in Oper und Konzert

Kein Meer, kein Schiff. Das war zu erwarten, wenn Regieminimalist Michael Thalheimer Wagners „Fliegenden Holländer“ inszeniert. Stattdessen sehen wir in der Hamburgischen Staatsoper einen schwarzen Kasten, der von magisch ausgeleuchteten 1000 Perlonschnüren abgeschlossen wird. Die kann man dehnen und durchsteigen, weshalb die Mitwirkenden nicht selten eine Haltung mit gespreizten Armen einnehmen und so verharrend weitersingen.
Schon während der Ouvertüre pellt sich die Senta (schön sopranklar: Jennifer Holloway) aus einem Müllsack und erstickt sich am Ende mit einem ebensolchen. Ist die schon tot und erlebt die Geschichte rückwärts? Das wird nicht klar. Sieht aber gut aus. Den Rest erledigt Wagners jugendlich gischtende Partitur. Die Kent Nagano gemächlich auffächert, strukturiert, da muss er keinen Druck machen.
Der Holländer des Thomas Johannes Mayer ist eine gesunde Mischung aus Reststimme und professioneller Erscheinung. Der seine Schätze als fliegenden Goldstaub herzeigende Handelsherr Daland ist bei Bassveteran Kwangchul Youn gut aufgehoben.
Bester Vokalist ist Benjamin Bruns (als Erik). Wie der als Riesenbaby um seine Senta fleht, wie Zärtlichkeit und Verzweiflung leuchtende Töne werden, das ist eine Wohltat souveränen Wagnersingens.

Wir schauen zur Staatsoper Wien. Dort hat Ballettchef Martin Schläpfer Tschaikowskis „Dornröschen“ neu interpretiert. Schon der Prolog des von Patrick Lange mit fantastischer Tanzkapellmeisterkompetenz traumhaft üppig dirigierten Abends zeigt: Hier versucht jemand, mit dem Vorhandenen vorsichtig kreativ umzugehen. Florian Etti hat dafür einen leichten Kasten mit Rosenprints entworfen, Catherine Voeffrays Kostüme sind silhouettenklar, bunt und spielen mit Gendergrenzen.
Am Charakter dieses Stücks als Schaugepränge, Ausstellung von Tänzerexzellenz mit Märchenfolie, will Schläpfer wenig ändern. Er versetzt Akzente. Königin (Olga Esina) und König (Masayu Kimoto) dürften fürsorgliche, vor allem tanzende Eltern sein. Die Carabosse ist eine schöne Frau auf Spitze (Claudine Schoch), die am Ende in das Sozialgefüge integriert ist. In diesem spielen jetzt neu eine Waldfrau (geheimnisvoll: Yuko Kato) und ein Faun (Daniel Vizcayo) bedeutsame Rollen. Schwachpunkt bleibt weiterhin das brave, kaum Zeit zu individueller Entfaltung habende Liebespaar. Hyo-Jung Kang ist eine jungmädchenhafte Prinzessin Aurora, aber dem Ballerino folgend. Den tanzt Brendan Saye mit leichten Sprüngen und Pirouetten, ein sanfter Held von heute.

Nur Gutes lässt ich auch von der Oper Bonn berichten. Dort ist Dramaturg Andreas K. W. Meyer erfolgreich mit seiner Ausgrabungsreihe „Fokus ’33 – Forschungsreise zu den Ursachen von Verschwinden und Verbleiben“. So ein Werk ist „Asrael“, der von Engeln, Göttern, Marien und Dämonen wimmelnde Erstling des reichen jüdischen Industriellenabkömmlings ­Alberto Franchetti (1860–1942) aus dem Jahr 1888. Das zeigt musikalisch Ähnlichkeit zu Arrigo Boitos „Mefistofele“, wedelt mit Weihrauch und ätherischen Chören, wagnerwabert und säuselt höchst scheinheilig. Eine Wucht!
Erzählt wird vom in der Hölle und auf Erden heimatlosen Engel Asrael, der mit Hilfe seiner besseren zweiten Hälfte Nefta nach diversen Abwehrmaßnahmen gegenüber irdischen Frauen wieder in die Gefilde der Seligen aufsteigen darf. Hermes Helfricht dirigiert das Beethoven Orchester Bonn mit ­Fanfarenpracht und Zartheit.
Christopher Alden lässt den Religions-Klimbim beiseite, inszeniert eine dystopische Familienaufstellung aus dem Ersten Weltkrieg im heruntergekommenen Schloss. Pavel Kudinov in diversen Rollen, der Asrael des tenorzupackenden Peter Auty, die Nefta der soprankräftigen Svetlana Kasyan, die dunkeltönende Tamara Gura als heiratsunwillige Prinzessin Lidoria, Khatuna Mikaberidzes verführerische Loretta, das klappt auch sängerisch bestens.

Matthias Siehler, 03.12.2022, RONDO Ausgabe 6 / 2022



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