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N° 1355
27.04. - 05.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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„Ein Mädchen“ (Vivien Hartert) und „die Kaiserin“ (Elza van den Heever) (c) Martin Sigmund

Da Capo

Festspielhaus Baden-Baden – Richard Strauss: „Die Frau ohne Schatten“

Triumph in der Babyfabrik

Nonnen und junge Frauen in einem Schlafraum, dazwischen katholische Requisiten. Nicht unbedingt das Ambiente, in dem man den Beginn von Strauss’/Hofmannsthals orientalischem Monumentalmärchenspiel „Die Frau ohne Schatten“ erwarten würde. Doch es kommt im Baden-Badener Festspielhaus, wo die Berliner Philharmoniker ihre Osterfestivaleröffnung klangvoluminös zelebrieren, noch besser: Fred Astaire und Ginger Rodgers tänzeln auf einer Glitzertreppe, ein Revuevogel sitzt auf einem Trapez, und Showgirls tanzen durch eine Barbiebabyfabrik!
Die amerikanische Regisseurin Lydia Steier wagt eine beherzt weibliche Sicht auf dieses unmögliche Stück – und gewinnt. Weil sie geschickt eine zweite Ebene einzieht. Der verquasten Handlung tut etwas Entertainment-Leichtigkeit zwischen Fertilitätstraumata unheimlich gut. Man muss aber erst mal den Mut haben, etwa den immobil-unfasslichen Kaiser in Gestalt des pfundigen, silbern trompetenden Clay Hilley in einen Frack gequetscht zum Tänzeln zu bringen. Auch Elza van den Heevers süß zwitschernde Kaiserin macht als Filmsirene im hellrosa Tülltraum bella figura und stemmt sich beherzt schwindelfrei durch ihre eskapistisch hohe Rolle.
Sängerisch am tollsten: die unverkeifte, warm majestätisch tönende Miina-Liisa Värelä als Färberin/Puppenmama, während Gatte Barak (inzwischen baritongenügsam: Wolfgang Koch) den Vertrieb organisiert. Ähnlich wie vor zehn Jahren bei seiner ersten Stückbegegnung am Münchner Nationaltheater, lässt Kirill Petrenko den ersten Akt zunächst auf kleiner Esoterikflamme kochen. Die Berliner Philharmoniker machen sich vor der hypertroph größten Orchesterpartitur der Operngeschichte mit vielfältigem Schlagwerk, geteilten Streichern, zwei Celesten und Glasharmonika souverän klein. Aber nicht lange: Immer mehr ereignet sich Schwelgen und Stampfen, simple Dur-Melodien wechseln sich ab mit intrikat ausgekosteter Polyphonie in stetig entfernteren Tonarten. Ein Strauss-Triumph – auf der Bühne wie im Graben.

Manuel Brug, 27.05.2023, RONDO Ausgabe 3 / 2023



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