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N° 1355
27.04. - 04.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Nikolaj Lund

Leonkoro Quartett

Im Turbogang an die Spitze

Das Berliner Streichquartett startet nicht nur gerade im Konzertsaal voll durch, sondern legt auch mit einem spannenden Schumann- und Ravel-Album nach.

Wie findet man als Streichquartett seinen Namen? Manche nehmen den Namen eines großen, streichquartettaffinen Komponisten (z.B. Alban Berg), andere wählen eine geografische oder institutionelle Herkunftsbezeichnung (z.B. Leipzig oder Juilliard) und wieder andere einen quartettintern vorherrschenden Familiennamen (z.B. Hagen). So gesehen könnte eines der derzeit spannendsten und erfolgreichsten jungen Quartette beispielsweise auch Haydn- (selbsterklärend), UdK- (in deren Umgebung sich das Ensemble in seiner heutigen Form zusammengefunden hat) oder Schwarz-Quartett (nach der Familiennamendominanz) heißen. Doch die vier Mittzwanziger Jonathan Schwarz, Amelie Wallner, Mayu Konoe und Lukas Schwarz haben sich für „Leonkoro“ entschieden.
Das kam so: „Gegründet haben wir uns im Februar 2019 noch als Studierende an der Universität der Künste“, berichtet Primarius Jonathan Schwarz, „und schon bald darauf meldeten wir uns für die ersten Meisterkurse an. Dafür musste das Quartett aber einen Namen haben – über den wir uns noch gar keine Gedanken gemacht hatten.“ Die damalige Bratscherin des Quartetts hatte in Astrid Lindgrens Buch „Die Brüder Löwenherz“ die Geschichte zweier eng miteinander verbundenen Brüder gelesen, die sich über den Tod hinaus in gemeinsame Abenteuer stürzen – Abenteuer, für die sie all ihren Mut, all ihr Selbstvertrauen und maximale gegenseitige Fürsorge aufbringen müssen. „Zunächst ein bisschen aus der Not geboren, stellten wir bald fest, dass sich der Inhalt des Buchs auch auf viele Aspekte des Streichquartett-Spielens und des Repertoires bezieht“, sagt Jonathan Schwarz. Durch die Übersetzung in die künstlich geschaffene Weltsprache Esperanto hoben die Quartettmitglieder den Namen auf eine internationale Ebene. Damit befindet sich das Leonkoro Quartett in bester Gesellschaft, gibt es mit dem Auryn Quartett doch eine weitere Spitzenformation, die sich bei der Namensgebung von einem Jugendbuch-Klassiker inspirieren ließ, nämlich Michael Endes „Unendlicher Geschichte“.
Wer sich die bisherige Erfolgsbilanz des Leonkoro Quartetts anschaut, fragt sich, wie ein so junges Ensemble in so kurzer Zeit so erfolgreich werden kann: Allein 2022 erspielten sich die vier Musiker jeweils den Spitzenplatz bei den wichtigsten Internationalen Streichquartettwettbewerben, einen Ersten Preis sowie neun (!) Sonderpreise beim Streichquartettwettbewerb der Londoner Wigmore Hall, kurz darauf den Ersten Preis beim Concours International de Quatuor à Bordeaux (wiederum umrahmt von diversen Extraauszeichnungen) sowie im November 2022 den MERITO String Quartet Award, bei dem die Teilnehmenden gar nicht wissen, dass sie sich in einer Wettbewerbssituation befinden: Die Jury besucht anonym über einen längeren Zeitraum Konzerte, um im Anschluss einen Sieger zu küren. 2023 hatte sich das Leonkoro Quartett dann als jüngstes Ensemble beim Premio Paolo Borciani den Zweiten Preis gesichert (bei Nichtvergabe des Ersten). „Auch beim ARD-Wettbewerb hätten wir mitmachen können“, sagt Jonathan Schwarz – und von einem erfolgreichen Abschneiden kann man bei der aufgeführten Bilanz ausgehen. „Doch irgendwann war uns der Druck zu hoch.“ Und das, obwohl den (fast gänzlich) aus Musikerfamilien stammenden Quartettmitgliedern die fordernde Wettbewerbsatmosphäre seit Kindheitstagen vertraut ist.

Von Legenden durchgereicht

Dass das Leonkoro Quartett so erfolgreich ist, verdankt es neben Talent, Hingabe und der schier unglaublichen Musikalität der Mitglieder nicht zuletzt seinen Lehrern: durchweg lebende Legenden. So war es zunächst der Geiger Heime Müller, lange Jahre beim Artemis Quartett aktiv, unter dessen Aufsicht die vier jungen Musiker ihre ersten Quartett-Schritte machten. Im Anschluss übernahm der Alban-Berg-Primarius Günter Pichler das Coaching, weitere Persönlichkeiten wie Cellist Eckart Runge und Bratscher Gregor Sigl (auch sie beide Veteranen des Artemis Quartetts) gaben ihr Wissen an den Nachwuchs weiter. In Alfred Brendel fand das Leonkoro Quartett einen ganz besonderen Mentor – und schließlich, nachdem es Publikum und Fachwelt bereits für sich eingenommen hatte, in der Zusammenarbeit mit dem Impresariat Simmenauer die Erfolgsgarantie für eine internationale Karriere: Mit 80 Konzerten im Jahr und einem überaus vielschichtigen und abwechslungsreichen Repertoire im Gepäck kann sich das Quartett nicht über mangelnde Beschäftigung beklagen. Die Startlöcher hat es also bereits hinter sich gelassen. „Auch wenn es seltsam klingt: Wir können auch deshalb jetzt richtig durchstarten, weil wir während der Pandemie sehr viel Zeit und Ruhe hatten, viele Werke einzustudieren und an unserem Klang zu arbeiten“, resümiert Jonathan Schwarz.
Wer noch keine Gelegenheit hatte, das Leonkoro Quartett live zu hören, kann sich einen Eindruck mit dem gerade erschienenen Debüt-Album verschaffen: ein kleiner, aber in gewisser Weise repräsentativer programmatischer Streifzug durch das bisherige Wirken. Zu hören ist darauf zum einen Robert Schumanns A-Dur-Quartett op. 41/III, mit dem die vier bereits in Bordeaux erfolgreich waren, und zum anderen – eine Verbeugung vor der französischen Literatur und ebenfalls ein Klassiker des Repertoires – Maurice Ravels 1902-03 entstandenes einziges Streichquartett. Mehr wird folgen – viel mehr!

Neu erschienen:

Robert Schumann, Maurice Ravel

Streichquartette A-Dur op. 41/III und F-Dur

Leonkoro Quartett

Mirare/Note 1

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Stephan Schwarz-Peters, 02.09.2023, RONDO Ausgabe 4 / 2023



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