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27.04. - 03.05.2024

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(c) Gregor Hohenberg

Till Brönner

Notwendige Wärme

Weihnachten ist das große Fest der Liebe. Und des swingenden Jazz. Zumindest bei „The Christmas Show“ des Trompeters.

Viele haben es getan. Nat King Cole, Frank Sinatra, Ella Fitzgerald, Louis Armstrong, Gregory Porter, Norah Jones, Nils Landgren und Diana Krall sind nur die berühmtesten. Neben ihnen reihte sich Till Brönner 2021 mit der beschwingten Trioscheibe „Till Christmas“ ein, nachdem er 2007 bereits das orchesterschwere „The Christmas Album“ vorgelegt hatte. Ohne Zweifel: Die Bearbeitungen für das Jazztrio machen mehr Spaß, denn fernab jeglichen Pathos behandeln sie bekannte Weihnachtslieder so, wie Jazzmusiker auch mit den Songs vom Broadway umgehen: als Ausgangspunkt für unbeschwertes Ensemblespiel und heitere Improvisationen.
Diese leichte, lockere Jazzatmosphäre wird sich bei den elf Konzerten seiner Christmas Shows mit einem Septett und der Sängerin Kim Sanders fortsetzen. „Mich interessiert die Frage, was man weglassen kann, ohne die Aussage eines Stückes zu verfälschen, und dennoch die notwendige Wärme zu erzeugen“, sagt er. Das macht Brönners Weihnachtslieder ruhiger, stilvoller, konzentrierter, verinnerlichter, frei von Bombast und Pathos und auf eine unaufdringliche Art romantisch.
Manchmal werden die Interpretationen zum kleinen Ratespiel. Nicht jeder Song ist sofort zu erkennen. Soll er auch nicht. Für die Zuhörer ist es viel interessanter, wenn sich erst nach einer Weile ein eigentlich bekanntes, populäres Thema herausschält. Auf der Platte tasten sich Kontrabass und Klavier langsam an die Melodie von „Stille Nacht“ heran, die durch Brönners luftig-hauchigen Trompetenton zu schweben beginnt. Ein ähnliches Versteckspiel bestimmt auch Passagen von „O Tannenbaum“, das um 1615 noch ein Lied über eine tragische Liebe war und erst 1824 mit einem neuen Text zum Weihnachtslied umgewidmet wurde.
Sein weicher, atem- und nuancenreicher Trompetenton und sein Faible für Melodien heben Till Brönner von vielen Kollegen ab. „Wir haben im Jazz so viele Gestaltungsmöglichkeiten“, bilanziert er. „Ich muss meine Version, meine Geschichte erzählen.“ Dabei bleibt er nicht an den Kontext des coolen Mainstreams gebunden. Der Jazz hat eine Fülle von Stilen und Spielarten hervorgebracht, betont er andererseits. „Wir leben Gott sei Dank in Breitengraden, in denen jedes Tierchen seinem Pläsierchen nachgehen kann. Es geht um Freiheit und Authentizität. Neue Dinge zu hören und zu spielen, das inspiriert mich total.“ Deshalb geht er hin und wieder mit Günter „Baby“ Sommer, einem Ahnvater des Free-Jazz der DDR, auf Tournee. Ich habe gemerkt, dass dieses ‚Wir sprechen nichts ab, aber wir machen jetzt was’ ein Teil von mir ist, den ich lange unterschätzt habe.“
Für die Christmas Show ist dies kein Thema. Hier wird er mit leisen, sorgsam gesetzten Tönen seinem Publikum bekannte und neu entdeckte Weihnachts- und Winterlieder im Jazzgewand anbieten. „Weihnachten ist das Fest der Liebe“, sagt er. „Das haben wir nie stärker benötigt als momentan. Ich hoffe, dass sich die Weihnachtsmessage, die manchmal ein bisschen pathetisch ist, in der Seele der Menschen verfestigt.“

www.tillbroenner.de

Werner Stiefele, 25.11.2023, RONDO Ausgabe 6 / 2023



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