home

N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Christoph Köstlin/DG

Bryn Terfel

Der Gesang der Meere

Der walisische Bariton erkundet mit befreundeten Musikerinnen und Musikern die faszinierende Welt der traditionellen Seemannslieder.

Auch wenn sich das Interview eigentlich um das neue Album drehen soll, kommt man nicht umhin, Sir Bryn Terfel auch auf die Krönung von King Charles III. anzusprechen, bei der er gemeinsam mit prominenten Kolleginnen und Kollegen wie Pretty Yende oder Sir Antonio Pappano den royalen Soundtrack beisteuerte. Denn das Medienereignis, das rund um den Globus für Rekordeinschaltquoten sorgte, machte ihn nun selbst einem Publikum bekannt, das sonst mit klassischer Musik eher wenig am Hut hat. „Wir können uns glücklich schätzen, einen König zu haben, der klassische Musik so liebt, wie er. Diesen historischen Tag werde ich im Leben nicht vergessen. Und obwohl es nur drei Worte waren, die ich dabei auf Walisisch singen durfte, waren es für mich und viele andere Menschen aus Wales sehr wichtige Worte. Weil es das erste Mal war, dass unsere Sprache bei einer Krönung zu hören war.“
Die Bemühung, bei der Zeremonie die unterschiedlichen Regionen des Vereinigten Königreichs und des Commonwealth gleichberechtigt zu integrieren, war für den 2017 von Queen Elizabeth geadelten Bassbariton ein wichtiges Signal. Sieht er sich doch von jeher als musikalischen Botschafter seiner Heimat. Weshalb die walisische Sprache auch auf seinem neuen Album „Sea Songs“ prominent vertreten ist. „Das sind die Art von Liedern, mit denen ich als Kind aufgewachsen bin. Wir Waliser lieben es zu singen. Und ich habe in meiner Jugend viele Chor-Konzerte mit bunt gemischten Programmen erlebt, wo neben klassischen Stücken eben auch Folksongs oder Musical-Nummern zu hören waren. Lieder, die die Menschen ansprechen und die sie auf dem Heimweg noch lang weitersummen.“ Denn auch die Größen des Broadways oder die berühmten Folk-Ikonen sind für Terfel zweifellos Meister ihres Fachs, die man nicht gegen die klassische „Konkurrenz“ ausspielen, sondern für ihre individuellen Qualitäten schätzen sollte. Mit Schubladen-Denken ist man bei ihm daher fehl am Platz, wie er zwischen den Proben für Stephen Sondheims „Sweeney Todd“ am Opernhaus Zürich immer wieder betont. Wobei ihn eins durchaus schmunzeln lässt: dass Sondheim wahrscheinlich der einzige Musical-Komponist sein dürfte, dem es gelang, den sogar im Guinness-Buch der Rekorde gelisteten walisischen Ortsnamen Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch in einen Liedtext einzubauen.

Wellenkämpfe mit starker Mannschaft

Die „Sea Songs“ reihen sich für Bryn Terfel ganz organisch in seine umfangreiche Diskografie und führen ihn ein Stück weit zurück zu seinen Wurzeln. Wobei neben dem Walisischen auch zahlreiche Seemanns-Klassiker aus anderen Regionen vertreten sind. Von den Shetland Islands über die Bretagne und die Bahamas bis hin zur neuseeländischen Ballade „The Wellerman“, die während des Lockdowns in den sozialen Medien wie TikTok viral ging und dort den Trend der sogenannten ShantyToks begründete. „Diese Songs sind genau meine Kragenweite, weil ich es liebe, diese kleinen Geschichten zu erzählen. Lieder wie ‚The Wellerman‘ oder ‚Whiskey Johnny‘. Man sieht es richtig vor sich, wie die Seeleute gegen die Elemente kämpfen. Das ist auch nicht viel anders als in einem strophischen Schubert-Lied. Und es freut mich für die Folk-Community, dass sich offenbar auch die junge Generation heute wieder für diese Musik begeistern lässt.“
Für einige der nautisch gefärbten Geschichten kann der begeisterte Sportfischer dabei sogar auf Erfahrungen aus erster Hand zurückgreifen. So kommt im Kontext des „Whiskey Johnny“ wie aus der Pistole geschossen eine abenteuerliche Anekdote über einen gemeinsamen Angelausflug mit Sängerkollegen. „Meist ist es mein guter Freund, der Tenor Paul Groves, der diese Trips organisiert. Und einmal waren wir rund 80 Meilen vor der Küste Mexikos als einer unserer Motoren ausfiel und dann noch langsam der Treibstoff knapp wurde. Aber wir sind alle cool geblieben und haben es wieder heil zurück ans Land geschafft.“
Bei der Begeisterung, die Bryn Terfel für sein „Sea Song“-Projekt ausstrahlt, ist es kaum ein Wunder, wie viele namhafte Gaststars sich spontan mit ins Boot holen ließen. Neben Gattin Hannah Stone, die ihn und die walisische Singer-Songwriterin Eve Goodman beim bretonisch gesungenen „Me ’zo ganet e-kreiz ar mor“ auf der Harfe begleitet, finden sich da unter anderen die erfolgreiche Folkband „Calan“ oder sein Opernkollege Sir Simon Keenlyside. Er stimmt gemeinsam mit Terfel das wohl berühmteste Shanty „What Shall We Do With The Drunken Sailor“ an. „Ich fand die Idee lustig, dass zwei Ritter des Vereinigten Königreichs bei diesem Song die Krüge heben. Und Simon war für diesen Spaß gleich zu haben.“ Ebenso wie Rock-Legende Sting, dessen Stimme bei „The Green Willow Tree“ zu hören ist. Auch hier kam nach der ersten E-Mail, gleich eine spontane Zusage. „Ich war absolut begeistert von seinem Weihnachtskonzert aus der Durham Cathedral. Wie er da unterschiedliche Musikstile auf höchstem Niveau zusammengebracht hat, war absolut unglaublich. Und wenn wir dann noch an sein Musical ‚The Last Ship‘ denken, hatte ich schon das Gefühl, dass wir in der Hinsicht verwandte Seelen sind.“
Aufgenommen wurde das Album natürlich zum Großteil zu Hause in Wales. Im Laufe einer arbeitsintensiven, aber für alle Beteiligten überaus inspirierenden Woche. „Es lässt sich kaum beschreiben, was für ein wundervolles Gefühl es war. Nach dem Frühstück die Kinder zur Schule bringen, dann durch die Täler von Südwales zum Studio zu spazieren, mit guten Freunden Songs aufnehmen und auf dem Heimweg die Kinder wieder abzuholen.“
Voll des Lobes ist Terfel dabei vor allem für den Arrangeur und Multiinstrumentalisten Patrick Rimes, ohne dessen Repertoirekenntnis und musikalische Vielseitigkeit wäre das Album in dieser Form wohl nicht möglich gewesen. Eine Herausforderung waren dabei vor allem die unterschiedlichen Sprachen wie das Bretonische oder die Norn-Sprache der Shetland Islands. „Das gehört zum Sängerberuf dazu. Da muss man eben seine Hausaufgaben machen. Aber ich hoffe, dass ich den Originalen gerecht werde.“
Und mit etwas Glück wird man Sir Bryn demnächst auch live mit diesem Herzensprojekt erleben können. „Ich war immer vorsichtig nicht zu viel Oper zu machen und Platz für das Lied zu lassen. Und es kommt ja auch irgendwann der Punkt, an dem es mit Wotan und Scarpia vorbei ist und man sich überlegen muss, was danach kommt. Wir haben im Zuge der Aufnahmen schon ein kleines Live-Konzert für das Label gemacht und ich glaube, dass da noch viel Potenzial ist. Ich muss es nur schaffen, dass Patrick in seinem Kalender Zeit für mich findet. Ohne ihn geht es nicht! Aber da bleibe ich mal optimistisch.“

Neu erschienen:

„Sea Songs“

Bryn Terfel, Patrick Rimes, Ben Tunnicliffe, Archie Churchill-Moss, Simon Keenlyside, Sting, The Fischerman’s Friends, Calan

DG/Universal

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Gut fürs Gemeinschaftsgefühl

Es ist oft faszinierend, welche Dynamik Social-Media-Trends entwickeln. 2021, mitten im Lockdown, waren dies auf TikTok die sogenannten ShantyToks. Digital aufgepeppte oder oft auch authentisch handgemachte Coverversionen traditioneller Seemannslieder wie dem „Wellerman“, der dem schottischen Briefträger Nathan Evans Klicks in Millionenhöhe brachte. Wobei sich das Geheimnis dieses Erfolgs sehr simpel aus dem Ursprung der Sea Shanties erklärt, die Matrosen einst dazu dienten, die einsamen Tage auf See aufzulockern, aber auch, um gemeinsame Tätigkeiten wie das Rudern oder Einholen der Netze und Segel rhythmisch zu koordinieren und ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen.

Tobias Hell, 10.02.2024, RONDO Ausgabe 1 / 2024



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Hausbesuch

Samos Young Artists Festival

Der Wind, die Wellen, das Violoncello

Auf der griechischen Trauminsel stellen sich einmal im Jahr nicht nur großartige Musiktalente vor […]
zum Artikel

Boulevard

Wenn „Salut Salon“ Weihnachten feiert …

Ein Schuss Jazz, eine Prise Film, ein Löffel Leichtigkeit: Bunte Klassik

Wenn „Mr Sandmann“ „Liebster Schneemann“ heißt, wenn ein Weihnachtslied ohne die typischen […]
zum Artikel

Gefragt

Wolfgang Muthspiel

Wegrand der möglichen Geschenke

Der österreichische Saitenzauberer veröffentlichte vor kurzem auf dem freigeistigen Münchner […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Das Klavierquartett c-Moll des 19-jährigen Strauss war ein Geniestreich, der sofort als solcher erkannt wurde. Komponiert 1883/84, zwischen der ersten Sinfonie und der „Burleske“ für Klavier und Orchester, gilt es als Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Brahms und den Formen der klassisch-romantischen Instrumentalmusik.

Aus einer viel späteren Schaffensphase, nämlich den letzten Kriegsmonaten 1945, stammen die „Metamorphosen für 23 Solostreicher“. Zu jener Zeit arbeitete […] mehr


Abo

Top