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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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Gezeitenkonzerte (hier das Münchner Kammerorchester in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden) (c) Karlheinz Krämer

Der Norden und der Osten

Weite Landschaft und großes Erbe

Der Norden lädt ein zum Durchatmen an rustikal-lieblichen Spielorten, der Osten punktet mit grandioser Musiktradition.

Was war eigentlich vor der Festival-Schwemme? Da gab es im Wesentlichen die großen Sommerfestivals im Süden (Salzburg und Bayreuth). Und auf dem platten Land gab es außerhalb der musikalischen Grundversorgung in der nächsten größeren Stadt wenig bis gar nichts. Man kann beklagen, dass heute gefühlt jedes zweite Dorf sein eigenes Festival veranstaltet. Aber eigentlich sollte man es feiern.
Natürlich kann nicht jedes Festival ein messerscharfes Profil entwickeln, das sowohl programmatisch auf der Höhe der Zeit ist und sich zugleich optimal mit den Gegebenheiten des Ortes verzahnt. Und noch dazu gefälligst niedrigschwellig ist, ohne sich anzubiedern. Manche Festivals reichen einfach Bewährtes durch, was auch in Ordnung ist, denn es ist viel besser als nichts. Alle Festivals sind ein Segen für die veranstaltenden Orte, sie beleben das Saisongeschäft und schaffen Arbeitsplätze. Und nicht zuletzt: Sie ernähren die Freischaffenden, die freien Ensembles, aber auch Heerscharen von Dramaturgen, Autoren, Grafikern, all jene, die im Kulturbetrieb jenseits der Institutionen in der Grauzone der Zulieferer unterwegs sind. Also feiern wir die Festivals, ihre Vielfalt und ihren Einfallsreichtum. Die folgende Auswahl ist ein subjektives Best-of.

Geht man zurück in der Geschichte der modernen Festivals, führt kein Weg vorbei am Schleswig-Holstein Musik Festival und seiner Pionierfunktion für Europa (Vorbild war das Tanglewood-Festival in Massachusetts): Das SHMF präsentierte 1986 erstmals eine lässige Darreichungsform der Hochkultur, die Schule machte, denn es wurde nicht mehr nur in Konzertsälen gespielt, sondern in den Schlössern, Kirchen, Manufakturen und Scheunen der ganzen Region. In diesem Jahr (6. Juli bis 1. September) dient eine saftige Zitrone als Label für das üppige Programm mit 203 Konzerten, die um die Musikstadt Venedig kreisen, als Porträtkünstlerin wurde die Saxofonistin Asya Fateyeva geladen, ansonsten gibt sich das Who’s who der Branche die Klinke in die Hand: der stilistisch unbekümmerte und kommunikative Lang Lang, der zu dem Kollegen Grigory Sokolov den schärfsten Kontrast bildet, Klarinetten-Queen Sabine Meyer, der Harfen-Virtuose Xavier de Maistre und Mandolinen-Meister Avi Avital, Jan Lisiecki, Lucie Horsch, der feine Counter Valer Sabadus, und der allgegenwärtige Daniel Hope.
Besonders rustikal und naturverbunden sind die Gezeitenkonzerte, die an zahlreichen Spielstätten in Ostfriesland (18. Mai bis 14. Juli) in diesem Jahr in ihrer achten Ausgabe unter dem Motto „Miteinander!“ stehen. An 33 verstreuten Spielorten stehen Kammermusik und Jazz auf dem Programm, das erst Mitte März publiziert wird.
Weiter Richtung Osten machen dem „Oldie“ Schleswig-Holstein die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern Konkurrenz, die sich inzwischen auf drei Saisons aufgeteilt haben: Auf vierzehn Tage im März (4. bis 17. März) mit dem fantastischen Danish String Quartet im Zentrum folgt die Hauptsaison im Sommer, die sich über drei Monate (ab 14. Juni) hinzieht. Im „Fokus Bach“ treten Festspielpreisträgerinnen und -träger von Anastasia Kobekina bis Nils Mönkemeyer auf, Preisträger in Residence ist das SIGNUM saxophone quartet, auch hier zieht darüber hinaus ein Star-Aufgebot mit Julia Fischer, Hélène Grimaud und Klangkörpern wie dem Philharmonischen Orchester der Scala unter Riccardo Chailly auf.

Die Festivals im Osten setzen weniger auf Lokalkolorit, als auf ihre immense Musiktradition. Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel, Georg Philipp Telemann und Heinrich Schütz sind hier nach wie vor präsent und waren nie vergessen. Allein die Gedenkorte des Thomas-Kantors, die Stationen, die er vor Leipzig absolvierte, sind eine eigene Reise wert. Ihre dazugehörigen großen und kleinen Festivals und Konzertreihen sind zahlreich und beeindrucken schon mit ihrem authentischen Flair.
Eine Institution mit nicht nachlassender Attraktivität ist das Bachfest Leipzig (7. bis 16. Juni), in diesem Jahr unter dem Motto „CHORal TOTAL“. Alles, was Rang und Namen hat in Sachen Bach pilgert nach Leipzig, die Ensembles kommen teils von weither, aus Japan und diesmal sogar aus San Diego. Und natürlich ist der Thomanerchor Leipzig zu erleben.
Die Thüringer Bachwochen setzen auf die authentischen Lebens- und Wirkungsstätten des Barock-Giganten. Die 33. Ausgabe (21. März bis 14. April) trägt den Bach’schen Kantaten-Titel „Herz und Mund und Tat und Leben“, zum 339. Geburtstag von Bach spielt das coole Rothko String Quartet ein imaginäres Oratorium mit Kompositionen aus Romantik, Moderne und Gegenwart.
Nicht verpassen sollte man auch die Händel-Festspiele Halle (24. Mai bis 9. Juni) unter dem Motto „Oh là là! Händel? – Französische Inspirationen“. Wie immer gibt es eine reizvolle Mischung mit Händel-Opern, diesmal „Amadigi di Gaula“ und im entzückenden Goethe-Theater im nahen Bad Lauchstädt sogar eine Tanz-Produktion „Terpsicore – Die Königin tanzt!“ mit der Berliner lautten compagney unter Wolfgang Katschner.
Abseits der barocken Tradition berufen sich die Schostakowitsch Tage Gohrisch (27. bis 30. Juni) auf zwei Kurzaufenthalte des Komponisten im Kurort in der Sächsischen Schweiz. Bei seinem ersten Aufenthalt komponierte er sein achtes Streichquartett c-Moll op. 110, nachweislich das einzige Werk, das er außerhalb der Sowjetunion komponierte. In der Konzertscheune wird bei der 15. Ausgabe unter anderem das Quatuor Danel zu Gast sein.

Regine Müller, 23.03.2024, RONDO Ausgabe 2 / 2024



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