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N° 1355
27.04. - 04.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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Der große Bach und seine sieben Kollegen: David Moliner kombiniert den Thomaskantor mit zeitgenössischen Positionen © Look-Book 51

David Moliner

Sieben Uraufführungen und ein Heiligtum

Der Komponist und Perkussionist weiß, wo Gespür zu Klang wird.

„Hätte Bach das Marimbaphon gekannt, er hätte unglaubliche Werke für dieses Instrument komponiert“, ist David Moliner überzeugt. Doch da das Stabspiel (ja, so heißt die Instrumenten-Familie tatsächlich) erst im 19. Jahrhundert in den europäischen Fokus geriet, muss der Spanier für seinen Schlägel-Tanz auf den Holzklangstäben gemeinhin auf jüngere Stücke zurückgreifen. Es sei denn, der 32-Jährige greift selbst zur Komponistenfeder oder transkribiert alte Werke für sein Schlagfeuerwerk – was den äußerlich so ruhigen Mann aus der valencianischen Mittelmeerstadt Castelló de la Plana („ich liebe den Himmel und die Farben dort!“) schon seit Kindesbeinen gereizt hat. Sieben Jahre war der kleine David alt, als seine ersten eigenen Noten-Schreibversuche entstanden: „Ich war zwar kein Wunderkind, aber ich wollte gern etwas machen und habe mich gefragt: Wie kann ich Expressivität in Klang umsetzen?“, erinnert sich Moliner. Nicht, dass der Knabe von Ehrgeiz besessen war, doch „es ging um die mir innewohnende Energie, die nach einem Ausdruck suchte“. Andere hätten da vielleicht ihre ersten Texte oder Gedichte geschrieben, doch für ihn sei die Musik die erfüllendere Welt gewesen – „und diese neue Welt wollte ich in Klänge oder Geräusche fassen“.
Ein Gedanke, der ihn fortan nicht mehr loslassen sollte – nicht zuletzt, da er schon als Kind voller Hingabe Mozart und Händel lauschte. Da überrascht es, dass der Knabe sich mit zehn Jahren dann ausgerechnet dem Schlagzeug zuwandte, doch daran waren die Freunde „schuld“, die sich in der Musikschule alle für das Rhythmusinstrument entschieden… Wirkliche Begeisterung für die schlagenden Klöppel entwickelte Moliner denn auch erst als Jugendlicher, als er die Musik von Xenakis und Varèse für sein Instrument kennenlernte: „Das sind wirkliche Meisterwerke – auf einmal war ich total motiviert!“ Und außerdem hatte der junge Mann längst seine Liebe zum Marimbaphon entdeckt („Da gab es Melodien!“) und durch seine Einsätze im Jugendorchester „viel in puncto Orchestrierung gelernt“: bestes Rüstzeug also, um „eine klare Vision beim Komponieren zu entfalten“.

Vom Cello aufs Marimbaphon

Eine Vision, die für ihn weit mehr bedeutet als „nur“ schöne Klänge oder aufregende Rhythmen, denn „Kunst sei ein Akt der Rebellion“, lässt der Mann mit dem Fünf-Tage-Bart seine Gedanken in philosophische Sphären schweifen. „Kunst und Kultur bringen den Menschen dazu, sich neue Horizonte zu eröffnen, ein kritisches Urteilsvermögen wie auch neue Sensibilitätsmuster auszubilden und vermitteln uns so eine Freiheit ganz eigener Art.“ Im Gegensatz zur schlichten Unterhaltung, die einfach nur die Akzeptanz der Realität in sich trage.
Es ist eben dieser Gedanke des großen, umfassenden Gesamt(kunst)werks – den Mahler und Wagner bereits eingeschlagen hätten –, der Moliner in seinem kompositorischen Schaffen beflügelt. Dass der Spanier mit den sanften Augen zugleich seine Karriere als Solo-Schlagzeuger und Instrumentalist verfolgt und seit fünf Jahren eine Professur an der Musikhochschule von Valencia innehat, zeugt andererseits von seiner Bodenständigkeit; entsprechend beschreibt denn auch Jörg Widmann die Arbeit seines ehemaligen Studenten als „oft latent musiktheatral gedacht und bei aller Differenziertheit von großer Körperlichkeit“. Und damit zweifellos Bach näher, als es manchem beim ersten Hören seiner Werke dünken mag…
Da scheint es nur folgerichtig, dass sich der Komponist unserer Tage schon vor 15 Jahren dem Heiligtum des Altmeisters angenommen und dessen erste drei Cello-Suiten für Marimbaphon arrangiert hat. Natürlich habe es bereits zahlreiche Transkriptionen für andere Instrumente gegeben, doch „die waren mir alle nicht präzis genug in ihren Tempi und ihrem Ausdruck – und meine Vision ist es nun einmal, der den Suiten innewohnenden Dynamik zu folgen“. Was letztlich dann auch zu jenem Programm geführt hat, mit dem der Perkussionist nun Mitte Mai in der Berliner Philharmonie debütiert: ein „Schlagzeugrezital“, das seine Transkriptionen der Cello-Suiten mit Uraufführungen von sieben jungen Eleven kombiniert, die sich in ihren Stücken wiederum haben von den Originalen Bachs anregen lassen. „Quasi eine zeitgenössische Vision der Bachschen Musik, aber eben schon mit ihrer ganz eigenen Stimme.“ Die Werke seien sehr unterschiedlich, doch alle erzählten sie kleine Geschichten und in ihnen lebe die Seele von Bach – „und am Ende ist das wohl der wichtigste Einfluss auf diese modernen Kompositionen“.
Entstanden sei dieses Mentoring-Programm in Kooperation mit dem Wiener Musikverlag „Universal Edition“: Gerade für junge Komponisten sei es unmittelbar nach dem Studium so wichtig, nicht allein gelassen zu werden, damit „das einmal entfachte Feuer weiter brennt“. Und so hat Moliner denn den Tonsetzer-Nachwuchs ausgewählt und begleitet, nach „eigenen Stimmen und Stimmungen gesucht, die sich weiterentwickeln können“. Schließlich seien diese Menschen die Zukunft der Musik – „und auch wir älteren können so viel von ihnen lernen“. Manchmal sogar auf den Klangstäben des Marimbaphons – ganz im Geiste Bachs.

Das nächste Konzert:

15. Mai 2024, 20 Uhr – Berlin: Philharmonie, Kammermusiksaal

Christoph Forsthoff, 13.04.2024, Online-Artikel



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