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N° 1356
04. - 10.05.2024

nächste Aktualisierung
am 11.05.2024



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Fanfare

Seltsame Zeiten sind das. Kaum ein Lebensfeld betreten wir, ohne nicht offenkundig und meist sehr offensiv mit Superlativen konfrontiert zu werden. Ein Star ist nicht mehr nur ein Star, sondern ein Superstar, ein Model ein Topmodel. Etwas, das gut genug wäre, um gut genug zu sein, ist nun das Beste, das Hohe ist das Höchste, das Tiefe das Tiefste. Und so weiter und so fort. Auch auf dem Gebiete der schönsten (!) aller Künste, der klassischen Musik, treffen wir inzwischen nur noch auf dergleichen Zuschreibungen. Und so nahm es eben auch wenig Wunder, dass wir bei unserem Aufenthalt in München, wohin wir gereist waren, um wieder einmal Schuberts Liedzyklus »Die schöne Müllerin « zu hören, »Deutschland schönste Stimme« gewärtigen durften. Die Götter mögen nun darüber streiten, ob der smarte und mit Intelligenz gesegnete Tenor Jonas Kaufmann das erwähnte Attribut verdient und ob es Sinn macht, ihn damit zu beschweren. Gleichwohl versetzte uns sein Liederabend gemeinsam mit dem formidablen Begleiter Helmut Deutsch, einem der ältesten (!) Hasen im Geschäft der Liedbegleitung, in einiges Entzücken. Kaufmann gebietet über viele und variabel eingesetzte Farben, er hat eine wunderbar warm timbrierte, voluminöse und baritonal eingefärbte Stimme, und er weiß das, was er singt, markant zu gestalten. Was nichts anderes meint, als dass er uns den Geist der Komposition auf anschaulichste (!) Art und Weise zu vermitteln wusste. »Die schöne Müllerin« als kunstvolles, zugleich seinen volksmusikhaften Ursprüngen verpflichtetes Seelendrama, mit vielen Türchen, die sich einen Spaltbreit nur öffneten, aber den Blick auf schier ewige Abgründe freigaben. Und siehe da, am Ende dieses fabelhaften Konzerts im Rahmen der Münchner Opernfestspiele hatten wir doch glatt vergessen, dass es »Deutschlands schönste Stimme« war, die uns da die Nöte des Komponisten eingeflüstert hatte.
Darob beschwingt fuhren wir gleich weiter über die nahe Grenze, an die Salzach. Heuer boten die Salzburger Festspiele, um die man angesichts der Umbesetzungen für die nahe Zukunft doch ein wenig fürchten muss, so man sich als Anhänger der musikalischen wie szenischen Avantgarde zählt, ein weit gefächertes Programm, sowohl in der Oper als auch im Konzert. Bei Letzterem interessierte uns vor allem die Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie, und das weit mehr wegen der Interpreten als wegen des Werks an sich. Wer in der jüngeren Vergangenheit ein aufmerksamer Beobachter der Szenerie war (und wir wollen uns ganz unbescheiden zu dieser Spezies hinzuzählen), konnte nicht umhin, einen Umschwung zu bemerken. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen hat unter ihrem Chefdirigenten Paavo Järvi bereits einige aufreizend schlüssige Beethovendeutungen in die Welt gesetzt. Und so war es nun auch bei der Neunten. Kein Stein blieb auf dem anderen. Kaum je zuvor wurde das Gebäude der Tradition derart kräftig durchlüftet, will sagen: In solcher Deutlichkeit haben wir die Stimmführung der Sinfonie und damit ihre Binnenspannung selten nachempfinden können wie an diesem lau-bewölkten Sommerabend. Und auch das Beethoven’sche Violinkonzert erklang – mit der wahrlich bezaubernden Janine Jansen als Solistin – in einer Vitalität und Transparenz, die ihresgleichen suchte.
Wir suchten danach nicht den Heimweg, sondern gingen tags darauf gleich ins benachbarte »Haus für Mozart«. Dort gab es die letzte der drei Da- Ponte-Opern des Namensgebers, »Così fan tutte«. Adam Fischer dirigierte die Wiener Philharmoniker, Claus Guth hatte die Inszenierung besorgt. Mochte diese doch sehr ausgedacht sein, gleichsam dramaturgisch übertüncht, so waren doch die Sänger und das Orchester ein Genuss. Allen voran Miah Persson als Fiordiligi sang sich mit schön geschwungenen Kantilenen und einem fein nuancierten, dynamisch weit gespannten Sopran in unsere Herzen, und dass Bo Skovhus ein äußerst profunder Bassbariton ist, zählt auch nicht zu den streng gehüteten Geheimnissen.
Von so viel Substanz bei gleichzeitiger Leichtigkeit beflügelt, betraten wir 24 Stunden später das Große Festspielhaus. Dort feierte die tugendhafte »Theodora« Premiere, eines der grandiosesten Stücke seiner Zeit. Der kleine Haken schien nur dieser: Es handelt sich dabei um ein Oratorium und eben nicht um eine Oper. Das dachten wir jedenfalls. Nach knapp vier Stunden verließen wir jedoch geläutert den Musentempel. So grandios und raffiniert, so detailliert und klug, wie Christof Loy dieses Oratorium inszeniert hatte, stellte sich die Frage nach der Gattung gar nicht mehr. Auch musikalisch besaß der Abend – wir müssen diesen Ausdruck bemühen – Weltklasseformat (!). Ivor Bolton dirigierte das Freiburger Barockorchester mit einem Elan vital, der dieses Werk für die Moderne präparierte. Und dann waren da noch zwei Sänger, deren Kunst uns betörte, nicht nur weil sie gleichsam tristanesk verschmolzen zu (über)irdischer Partnerschaft. Nein, es waren die Stimmen des Countertenors Bejun Mehta (er sang den Didymus) und der Sopranistin Christine Schäfer, deren Intensität uns augenblicklich und darüber hinaus den Atem nahm.
In diesem Sinne, alles Gute bis zum nächsten Mal, Ihr Tom Persich

Tom Persich, 15.03.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2009



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