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N° 1355
27.04. - 04.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Hitomi Image

Claire Huangci

Sangliches und Unsagbares

Auf ihrem neuen Album beschäftigt sich die Pianistin mit Schuberts letzten Klavierwerken und kombiniert sie mit Gesang.

Wie alt oder wie reif muss man sein, um Schuberts letzte Klaviersonaten zu spielen? Eine eindeutige Antwort darauf bekam Claire Huangci auch von ihren Lehrern am Curtis Institute of Music nicht. Sie wussten nur, dass eine 13-jährige Pianistin, sei sie auch noch so begabt, definitiv nicht in der Lage sei, dieser tieflotenden Werkgruppe gerecht zu werden. Doch Hartnäckigkeit siegt. „Nachdem ich Schuberts späte Sonaten zum ersten Mal gehört hatte, war ich so verliebt darin, dass ich sie unbedingt spielen wollte“, erinnert sich Huangci knapp 20 Jahre später. Trotz der anempfohlenen Konzentration auf Chopin setzte die Jungstudentin einen Ausflug ins späte Schubert-Repertoire durch und beschäftigte sich besonders intensiv mit einer Sonate, die ihr – nicht zuletzt als „Siegerstück“ beim Concours Géza Anda 2018 – auf dem weiteren Karriereweg Glück und Ruhm bescheren sollte: die A-Dur-Sonate D 959, die zusammen mit den Sonaten c-Moll (D 958) und B-Dur (D 960) in Schuberts letzten Lebensmonaten entstanden war und schon deshalb viel Anlass zur Mystifizierung und zur Verortung in transzendenten Gefilden bietet.
Claire Huangcis feinfühligen Umgang mit Schuberts pianistischem Spätwerk kann man nun auf einem neuen Album nachvollziehen, das neben der erwähnten Sonaten-Trias auch die als „Fantasie“ bezeichnete G-Dur-Sonate D 894 von 1826 enthält. Sie bildet als viertletztes Werk der Gesamtreihe die Brücke zu den drei anderen Sonaten und gehört neben der A-Dur-Sonate zu den ersten Schubert-Erfahrungen der Pianistin überhaupt. „Ich habe sie nachträglich erst in das Programm genommen, wie auch die drei Klavierstücke D 946“, sagt Claire Huangci, die während der Corona-Pandemie viel Zeit hatte, den geheimen Verbindungslinien dieser aus der identischen Schaffensphase stammenden Werke nachzulauschen. Die oft ungestümen, erstmals von Johannes Brahms herausgegebenen Einzelstücke bilden auf den ersten Blick zwar einen schroffen Kontrast zu der ätherischen Weite insbesondere der allerletzten, auch als „Große B-Dur“ bezeichneten Sonate D 960, zeigen aber bei näherem Hinsehen nicht nur im Aufbau, sondern auch in ihren Tonartenbeziehungen überraschende Parallelen.
Vor allem, was das Verhältnis zu den Tongeschlechtern angeht, ist Schubert ein Phänomen für Claire Huangci: „Normalerweise verbindet man mit Dur eher das Fröhliche, während Moll in der Musik der klassische Weg ist, um Trauer auszudrücken. Doch bei ihm hat man das Gefühl, dass er gerade dann in Dur komponiert, wenn er etwas besonders Trauriges zu sagen hat.“ In der Tat eine Schubert’sche Besonderheit – wie auch die Kantabilität seiner Schreibweise. „Meine Zusammenarbeit mit Sängern hat mir sehr geholfen, das Gesangliche in dieser Musik auszudrücken“, sagt die Pianistin, die schon mehrfach als Schubert-Lied-Begleiterin in Erscheinung getreten ist. Unter anderem mit dem Bariton Thomas E. Bauer, der als Gast mit Ausschnitten aus dem „Schwanengesang“ zu hören ist und so dabei mithilft, den Themenkreis „Schuberts letzte Werke“ auf diesem insgesamt drei CDs umfassenden Album abzuschließen.

Neu erschienen:

Franz Schubert

Klaviersonaten D 894, 958-960, ausgewählte Lieder und Klavierwerke

Claire Huangci, Thomas E. Bauer

3 CDs, Berlin Classics/Edel

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Stephan Schwarz-Peters, 14.10.2023, RONDO Ausgabe 5 / 2023



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