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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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Mit Carlo Tenan und Fatma Said (c) Özge Balkan

Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra

Im Geiste des Austauschs

Mit 85 Musikern leistet das privat geführte Orchester einen bedeutenden Beitrag zum türkischen Klassikleben. Carlo Tenan ist sein dritter Chefdirigent.

Es glitzert und glimmert überall, direkt aus der luxuriös anmutenden Mall geht es in den neuen Konzertsaal. Der heißt Zorlu PSM (Zorlu Performans Sanatları Merkezi, oder auf Englisch: Zorlu Performing Arts Center) und liegt mitten im mondänen Zorlu Center, einem 2013 eröffneten Konglomerat aus Shopping Center, Luxushotels, Appartements, Restaurants und eben Mehrzweck-Konzertstätten im schicken Beşiktaş-Viertel auf der europäischen Seite Istanbuls. Zunächst wurden hier Musicals gespielt, inzwischen ist der schöne, edel holzgetäfelte Saal mit seiner trefflichen Akustik die Spielstädte für die Abokonzerte des Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra.
Der Saal ist gut gefüllt, das Publikum erwartungsfroh. Der neue Chefdirigent Carlo Tenan dirigiert Ouvertüren von Mozart, Verdi und Rossini. Für den „Barbiere di Siviglia“ ist sogar Janitscharen-Schlagwerk mit Perkussionsbaum und Trommeln aufgeboten. Orchestral beschließt Tenan mit seinen 85 Musikern diese Klangfeier italienischer Lebensart mit Respighis bunt tonaufblühenden „Pini di Roma“. Und dazwischen lässt sich – ebenso als Ohren- wie Augenweide – die ägyptische Sopranistin Fatma Said vernehmen. Groß ist der Jubel über die zarte, doch strahlende, in Mozart-, Verdi- und Rossini-Arien sich verströmende Stimme. Und enthusiastisch wird es, als die zum wiederholten Mal hier gastierende Said als Zugaben ägyptische und sogar türkische Melodien anstimmt.
Es scheint also alles beim Alten, das private, von einem der größten türkischen Industriekonglomerate gepflegte Kunstwesen lebt und gedeiht. Die Aktivitäten der 1944 gegründeten Borusan Holding umfassen Stahlherstellung, Autovertrieb, Energieerzeugung und Logistik. 1997 startete man die Kunstabteilung, den zunächst als Kammerorchester operierenden Klangkörper gibt es schon seit 1993. Ein Quartett kam hinzu, ein Kinderchor. Education bündelt man im schicken Musikhaus, das seine Türen seit 2010 in einem entkernten Gebäude auf die traditionelle Fußgängerzone Istiklal öffnet. Zudem zeigt man an den Wochenenden die betriebseigene Kunstkollektion plus zwei wechselnde Ausstellungen jährlich in der an einer der Brücken in dem asiatischen Stadtteil liegenden Hauptverwaltung in Sarıyer.

Hürden des Alltags

1,5 Millionen Euro ist Borusan die Kunstförderung wert, mit 4,5 Millionen Euro wird Musik und Erziehung unterstützt. Einzelne Mitglieder der Besitzerfamilie sind direkt und leidenschaftlich involviert. Aber auch sie haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich – seit 2014 Recep Tayyip Erdoğan als 12. Präsident und Pseudodiktator der türkischen Republik amtiert – die Dinge nicht unbedingt zum Besseren entwickelt haben. Natürlich ist der frischgepresste Granatapfelsaft an der Blauen Moschee immer noch köstlich, im verwunschenen Innenhof der Kleinen Hagia Sophia spielen die Katzen beim Teetrinken. Doch die große Sophia ist wieder Moschee, nicht Museum, die historische Altstadt wird nach Attentaten schwer bewacht; man sieht viel mehr verschleierte Frauen als noch vor einigen Jahren.
Doch Borusan gibt sich Mühe, seine Kunstunternehmungen weiterhin so normal wie möglich zu führen. Das Istanbul Music Festival, dessen Hauptsponsor man ist und wo das Orchester bis 2018 quasi Hausklangkörper war, hat international an Prestige verloren, auch die historischen Konzertorte wie die Irenenkirche werden nicht mehr bespielt. Die zaghaften Auslandstouren des Orchesters, das einen großen Teil des Istanbuler Klassik­erlebens abdeckt, gerade mit seinen internationalen Solisten, sind gegenwärtig nicht mehr zu finanzieren. Auch die Solistenengagements sind weniger geworden, weil man nur in dauerschwankender türkischer Lira, nicht mehr in Dollar Gagen zahlen darf. Sogar das Zorlu Center, wo man die meisten der 50 Klassikkonzerte pro Jahr gibt, ist eigentlich nur ein Kompromiss. Schließlich braucht es ewig, bis man im turbulenten Verkehr der 20-Millionen-Agglomeration dorthin kommt. Doch das zentrale, endlich und aufwändig renovierte Atatürk-Kulturzentrum am Taksimplatz gegenüber der neuen, umstrittenen Moschee, bleibt den staatlichen Kompanien vorbehalten, als Mieter hat man keine Planungssicherheit.
Bei Borusan sind zumindest alle happy über den neuen, den dritten und ausgesprochen ambitionierten Chefdirigenten Carlo Tenan. Der Italiener, der auch als Komponist aktiv ist, hat zu Hause in Ancona sein experimentelles WunderKammer Orchestra und müht sich, auch in Istanbul die Programme so vielfältig wie möglich zu gestalten. Und bei Borusan wird als internationales Unternehmen so gut gewirtschaftet, dass man trotz Rezession in der Türkei und Lira-Abwertung die Kunstförderung in vollem Ausmaß aufrechterhalten kann. Dieser Unabhängigkeitsmoment erfüllt die Familie mit Stolz, das merkt man schnell.
Gerade ist auch wieder einmal ein Album mit dem Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra erschienen. Das Orchester begleitet darauf den Tenor Daniel Behle in Orchesterliedern und Opernausschnitten von Richard Wagner und Richard Strauss. Durchaus anspruchsvolle Kost, aber nicht nur der renommierte Sänger ist des Lobes voll. Und so schaut man in der von Ahmet Kocabıyık geführten Familie weiterhin entspannt auf die Entwicklung auch der Kunstbereiche.
Denn schließlich hat man bisher aus eigener Kraft fortgeführt, was man zum Wohle der Stadt wie im Geiste eines globalen Austausches aufgebaut hat. Stand in Istanbul europäische Klassik einst für eine Elite, die besonders bei den Sultanen des 19. Jahrhunderts gepflegt wurde, die eigens Donizettis Bruder Giuseppe in das Topkapi-Serail eingeladen hatten, so öffnete man sich längs und konsequent der Breite der Bevölkerung. Und das soll weitergehen.

Informationen und Tickets:

www.borusansanat.com

Manuel Brug, 24.02.2024, RONDO Ausgabe 1 / 2024



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