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N° 1355
27.04. - 04.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Tumen Dondukov

Andrey Denisenko

Über raue Pfade zu den Sternen

Auf seinem Debüt-Album erweist sich der russische Pianist als herausragender Gestalter.

Wenn man sich die Biografien der meisten russischen Pianisten ansieht, so beschleicht einen das Gefühl, als existierten in Russland nur zwei Orte, wo man Klavier studieren kann: Moskau und Sankt Petersburg. Allenfalls ließe sich noch darüber diskutieren, ob das Moskauer Gnessin-Institut dasselbe hohe Niveau mitbringt, wie das gleichermaßen in der Hauptstadt verortete Tschaikowski-Konservatorium. Bei dieser Fixierung auf die beiden Metropolen vergisst man häufig, dass es noch andere russische Großstädte gibt, die über exzellente Konservatorien verfügen.
Rostow am Don zum Beispiel. Die knapp 1000 Kilometer südlich von Moskau gelegene Stadt geriet im Sommer 2023 in die Schlagzeilen, als sie kurzzeitig von den Söldnern der Wagner-Truppe militärisch besetzt wurde. Sie verfügt mit dem Rachmaninow-Konservatorium über eine traditionsreiche Musikhochschule. Einer der talentiertesten Absolventen der letzten Jahre ist der Pianist Andrey Denisenko. Er wurde 1992 geboren, wuchs in Rostow in einer Musikerfamilie auf: „Meine Eltern haben beide Komposition studiert, aber nie wirklich als Komponisten gearbeitet“, erzählt Denisenko. Den ersten Klavierunterricht erteilte ihm seine Mutter, später studierte er beim renommierten Klavierprofessor Sergei Osipenko. Eine weitere Pianistin, von der er sehr profitierte, war die Neuhaus-Schülerin Elisso Wirsaladse. „Noch immer höre ich manchmal ihre kritische Stimme in meinem Kopf“, bekennt er lachend. 2017 schloss er sein Studium in seiner Heimatstadt mit Bestnoten ab, anschließend zog er nach Hamburg, um sein Studium bei seiner Landsmännin Anna Vinnitskaya fortzusetzen; im Februar 2024 spielte er sein Konzertexamen in der gut besuchten Laeisz­halle.
Soeben ist das Debütalbum des jungen Russen erschienen. Es trägt den Titel „Per aspera ad astra“, der auf ein Zitat des römischen Philosophen und Dramatikers Seneca zurückgeht. Übersetzt bedeutet es: „Über raue Pfade gelangt man zu den Sternen“. Das Eröffnungsstück ist denn auch pianistisch wie musikalisch außerordentlich fordernd. Es handelt sich um Johannes Brahms’ Bearbeitung von J.S. Bachs berühmter Violin-Chaconne, gesetzt allerdings für die linke Hand allein, wodurch das Stück zu einer Art Linke-Hand-Etüde wird. Auf die Brahms-Bearbeitung folgen Originalwerke des Hamburger Meisters: die späten Klavierstücke op. 116, ein vielschichtiger Kosmos, in dem sich tosende Seelenstürme mit Zartheiten abwechseln. Ähnliches gilt für das dritte Stück des Albums: Robert Schumanns „Kreisleriana“.
In seiner Interpretation der Bach-Chaconne vergisst Denisenko nie, dass es sich um Barockmusik handelt. So spielt er diese im besten Sinne schlicht, klar im Ton und sehr strukturbewusst ohne übertriebene Crescendi. Manchmal könnte man sich etwas weniger Legato vorstellen, einige Figuren sollten doch abgesetzt werden. Temperamentvoll und doch stets sehr melodisch, ohne Anflug von Brachialität gestaltet er die virtuosen Sätze bei Brahms und Schumann, sehr verinnerlicht und ausdrucksstark gelingen die ruhigen. Andrey Denisenko – den Namen sollte man sich merken.

Johann Sebastian Bach, Johannes Brahms, Robert Schumann

„Per aspera ad astra” (Klavierstücke)

Andrey Denisenko

Genuin/Naxos

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Mario-Felix Vogt, 23.03.2024, RONDO Ausgabe 2 / 2024



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