Der Titel der neuen Anthologie »Rio Blues« (Iris Music/harmonia mundi IRIS 3001987) ist im Grunde irreführend, denn streng genommen enthält die Sammlung keinen Blues. Die Herausgeber verstehen Samba analog zu Blues als Musik über das Leiden am Alltag – und der Fähigkeit, dieses zu überwinden. Ausgesucht haben sie Stücke aus den Siebzigerjahren von hier eher unbeschriebenen Blättern, zum Beispiel Bezerra da Silva, dem vor vier Jahren verstorbenen Botschafter der »morros«, der Slums, der über soziale Probleme sang. Die abgedruckten Texte erinnern, mal realistisch, mal sarkastisch, mal hoffnungsvoll durchaus in Bluesmanier an die Schattenseiten des Lebens, doch die nahezu unbeschwerte Fröhlichkeit der Musik spricht eine andere Sprache. Sie hat ja religiöse Wurzeln und strebt nach Ekstase. Kaum eine Volksmusik war einmal bei »ernsthaften Musikfreunden« so sehr in Misskredit geraten wie die bayerische. Schuld war zum großen Teil die erfolgreiche Vermarktung von Schlagern als »Volksmusik«, zum anderen die verständliche Gegentendenz konservativer Kulturhüter, aus Folklore ein unveränderbares Museumsgut zu machen. Das wirkte verstaubt, roch für viele sogar noch nach Blut und Boden. Das weitverbreitete Naserümpfen gehört aber inzwischen immer mehr der Vergangenheit an. Auf dem Album »Obacht! – Musik aus Bayern« (Bayla/Galileo Music BAY001) finden sich 26 Beispiele authentischer, lebendiger Volksmusik von Interpreten wie zum Beispiel der Familienmusik Hoffmann, Sepp Eibl oder Cordon Blech. Ulrike Zöller hat mit sicherer Hand ausgesucht, kenntnisreich kommentiert und entgegen der häufigen oberbayerischen Fixierung dabei Fränkisches, Österreichisches und vieles andere wie selbstverständlich einbezogen. Allein schon die Vielfalt der von seltenen Instrumenten gebotenen Klangfarben ist reizvoll. Die Besetzungen reichen von der obligatorischen Blaskapelle bis zum Duo aus Portativ und Maultrommel, das wie das Bassetthorntrio an die Nähe zur Wiener Klassik erinnert, während eine fränkische Gruppe mit mittelalterlichen Instrumenten noch weiter zurückgreift. Wer danach immer noch keinen Zugang zu unverfälschter bayerischer Musik findet, dem liegt sie wohl wirklich nicht.
Wenn ein heutiges Livealbum trotz zweifelhafter Aufnahmequalität von einer seriösen Firma veröffentlicht wird, dann muss schon etwas Besonderes daran sein. Das Moshe Berlin Ensemble bietet einen 73-minütigen Freudentaumel auf »Aneinu! Hasi-dic-Orthodox Music from the Festival of the Torah in Jerusalem« (Wergo/Note 1 SM16282). Es geht um die Einheit mit Gott, die der orthodoxe Jude durch Musik und Tanz erfährt, was vor allem dann am besten gelinge, wenn der Gesang wortlos ist, erklären Joel E. Rubin und Rita Ottens, zwei führende Klezmerspezialisten, im ausführlichen Beiheft. Auch wenn er noch nichts darüber gelesen hat, reißen die Aufnahmen den Hörer vom ersten bis zum letzten Ton unwillkürlich mit in den Wirbel, auch wenn er kein Wort versteht von dem, was die Menschen auf der Schlussfeier des Simchat-Torah-Festes singen (ja bei diesem Tohuwabohu nicht einmal verstünde, selbst wenn er der Sprache mächtig wäre) – auch wenn es musikalisch nicht immer perfekte Darbietungen sind (da singen die Feiernden, nicht etwa ein geschulter Chor). Man ist wieder erinnert, dass spieltechnische und aufnahmetechnische Perfektion nicht mit Vollkommenheit zu verwechseln sind. Man staunt, dass dies genügt, den Funken überspringen zu lassen. Es ist eben die so seltene Begegnung mit echten Emotionen großer Stärke. »Aneinu!« ist ein aus dem Leben gegriffenes Dokument über die Macht der Musik, Menschen zu beglücken.
Marcus A. Woelfle, 12.04.2014, RONDO Ausgabe 1 / 2009
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