Im Gegensatz zu der bei den meisten Opern-DVDs üblichen Frontalperspektive mit Halbtotalen und Close-ups scheint die Kamera hier fast ständig mitzugehen, viele Szenen sind von schräg oben oder unten gefilmt, lange Schwenks vermitteln das Gefühl permanenter Bewegung und gelegentliche Blicke in die Gasse und hinter die Bühne verstärken den Eindruck, hautnah dabei zu sein. Das ändert nichts daran, dass die Aufführungen selbst von höchst unterschiedlicher Qualität sind. Am spannendsten und frischesten wirkt Richard Jones’ Sicht auf »Hänsel und Gretel«, obwohl die Produktion schon einige Jahre auf dem Buckel hat: Sie wurde bereits an der Welsh National Opera und in Chicago gezeigt. Christine Schäfer singt endlich einmal eine Partie, die sie stimmlich nicht überfordert, Alice Coote ist ein idealer Hänsel, Philip Langridge eine fiese Hexe. Jones erzählt die Geschichte kitschfrei als ein Märchen für Erwachsene: ein praller Bilderschwall vom Fressen und Gefressenwerden mit wunderbaren Fantasiefiguren.
Alle anderen garantiert interpretationsfreien Inszenierungen dieser Reihe wollen nur eines sein: ein Fest der Stimmen METin schöner Ausstattung. Dieses Ziel wird indes nicht immer erreicht. Karita Mattila wurde an der MET als Salome, Jenufa, Elsa und »Fidelio«-Leonore bejubelt, und das New Yorker (Kino-)Publikum feierte sie zuletzt auch als Manon Lescaut. Trotzdem: Man nimmt ihr diese Figur in keinem Augenblick ab. Der Stimme fehlen Schmelz, Süße, Italianità. Darüber hinaus ist Mattila (oh gnadenlose Nahaufnahme!) für diese Figur schlicht zu alt – sie wirkt matronenhaft und so gar nicht wie ein ungestümes junges Mädchen. Die Inszenierung von 1980 könnte nicht »werktreuer« ausfallen und ist eine Freude für den traditionsbewussten Operngourmet. Bei der Deutschen Grammophon ist die Produktion in der Premierenbesetzung mit der sensationellen Renata Scotto und Plácido Domingo erhältlich. Und mit den beiden können weder Mattila noch ihr Partner Marcello Giordani auch nur annähernd konkurrieren.
Franco Zeffirellis Bilderbuch-»Bohème« aus dem Jahr 1981 wurde mit Angela Gheorghiu und Ramón Vargas in die Kinosäle übertragen. Beide sind in guter Form, und dennoch ist es hier die opulente Ausstattung, die den stärksten Eindruck hinterlässt: Das erste und das letzte Bild über den Dächern von Paris ist nach wie vor unschlagbar, ebenso wie die malerische Café-Momus-Szene mit ihrem Weihnachtstrubel und das Schneetreiben im dritten Akt – ein zeitloser Operntraum und seit über einem Vierteljahrhundert eine der erfolgreichsten Produktionen der MET.
Weder der neue »Macbeth« noch der neue »Peter Grimes« werden sich so lange im Repertoire des Hauses halten. Maria Guleghina liefert zwar eine abgründige Lady Macbeth und Anthony Dean Griffey zeichnet den Grimes als einen schwergewichtigen Psychopathen. Aber beide Inszenierungen nutzen das dramatische Potenzial, das die Stücke bieten, nicht aus. Ihnen fehlen Energie, Spannung, Dichte, und in beiden Fällen gelingt es den Ausstattern nicht, mit der Riesenbühne der MET etwas anzufangen. Anders sieht das bei Tan Duns »The First Emperor« aus, dem Überraschungserfolg der vorletzten Spielzeit. Domingo ist grandios in der Titelpartie, um ihn herum bewährt sich ein hochrangiges Ensemble in prachtvollen chinesischen Kostümen. Die Musik plätschert so hübsch und unaufdringlich dahin wie in Ang Lees Film »Tiger & Dragon«, für den Tan Dun im Jahr 2000 den Soundtrack schrieb. Kein Wunder also, dass »The First Emperor« im Kino besonders gut lief.
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Markus Kettner, 03.05.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2008
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